Gestern war ich – wie wohl viele in diesen Tagen – im Kino für den zweiten Teil der “Tribute von Panem” mit dem Untertitel “Catching Fire”. Seit Harry Potter und der Twilight-Saga (Bis(s) zum Morgengrauen etc.) gab es bei Jugendlichen keinen größeren Bucherfolg mehr als die Tribute von Panem. Durch die Kinofilme (insgesamt vier sind im Jahrestakt geplant, das Thema bleibt uns also erhalten) und die PC-Spiele, die an Weihnachten unter vielen Christbäumen lagen, ist garantiert, dass praktisch jede/r Jugendliche mit dem Thema vertraut ist.

Warum ich darüber schreibe? Die Tribute von Panem scheinen mir eine gute Möglichkeit, im Konfi und RU anzuknüpfen an Themen, die gesetzt sind und im Jugend-Alltag eine Rolle spielen. Katniss ist im Film genauso wie ihr (Schein-)Geliebter Peeta Mellark 16 Jahre alt, das ideale Konfi-Teenie-Vorbild-Alter! 

Und jedem dürfte auffallen, dass es unzählige religiöse Anspielungen in diesem Film gibt:

  • Erlösung: Katniss Everdeen wird dargestellt als heilige Erlöserfigur. Ähnlich wie Jesus ist sie Versuchungen ausgesetzt, sie darf nicht “fallen” und in der Arena töten, ohne selbst angegriffen zu werden. Sie muss ihren Überlebenswillen gleichzeitig zurückstellen und trotzdem für andere überleben. Deutlich an die Kreuzigung Jesu erinnert die Haltung, in der Katniss in “Catching Fire” halbtot aus der Arena gezogen wird: mit weit nach außen gestreckten Armen.
  • Opfer: Die dystopische Panem-Gesellschaft braucht bei den Hungerspielen regelmäßig symbolische Opfer, obwohl oder gerade weil sie ständig in den Distrikten ebensolche produziert. Durch die Identifikation mit dem Schicksal der Hungerspielhelden soll verhindert werden, dass die Distriktsbewohner selbst zu Helden im Überlebenskampf werden. Den ganzen Film hindurch sehnt man sich nach einem Opfer, das auch als Sieger nicht zum Opfer des Systems wird, indem es bei der kapitolinischen Dekadenz mitmacht, sondern das weiterkämpft auf der Seite der echten Opfer, um das System aus den Angeln zu heben.
  • Besatzung durch die Römer: Wie zur Zeit Jesu besetzen die Römer (Kapitol etc.) unterworfene Provinzen/Distrikte, die sie wirtschaftlich ausbeuten. Es keimt Widerstand gegen die Herrscher auf, der sich an einzelnen messianischen Helden-Figuren festmacht, die eine andere Welt versprechen oder für möglich halten. Andererseits gibt es viele, die von den herrschenden Verhältnissen profitieren und sie deshalb stabilisieren.
  • Karrieros: Manche Bewohner von Panem sehen in den Hungerspielen ihren einzigen Lebenszweck und trainieren nur dafür. Übertragen auf die Gegewart könnte man als Karrieros die bezeichnen, die sich für ein Überleben im konkurrenzorientierten Kapitalismus trainieren, nach OECD-Vorgaben pisagerecht Schule und Studium hinter sich bringen wollen, um dann burnout-gefährdet Höchstleistungen für das Wirtschaftssystem zu bringen. Entweder kommen sie als die großen Helden heraus oder sie gehen ein in die Annalen der heroisch gescheiterten, die Selbständigkeit und Firmengründung gewagt haben.
  • Ausbeuterische Verhältnisse: Spätestens seit den Propheten Israels ist es ein wichtiges religiöses Anliegen, im Namen Gottes ausbeuterische Ungleichheit zu kritisieren. Die Bewohner des Kapitols leben in dekadentem Luxus, bei Amos und anderen Propheten lässt sich nachlesen, wie das früher aussah. Von den Früchten eigener Arbeit zu leben ist das Ideal der Bibel. Wo das nicht gelingt, ist Teilen angesagt. Ohne eigene Arbeit von der Arbeit anderer zu leben, obwohl man arbeiten könnte, ist ein paradiesischer Zustand, der zur Perversion wird, wo er unter den Bedingungen der gefallen Welt angestrebt wird. Eine-Welt-Themen lassen sich bestens vor dem Hintergrund dieses Films thematisieren, denn es ist deutlich zu erkennen: Wir in Deutschland leben nicht in den Distrikten, so gern wir uns mit Katniss und Peeta identifizieren. Wir leben in der dekadenten Kapitol-Hauptstadt, ziehen die Klamotten an, die in den Distrikten unter schlimmen Bedingungen hergestellt werden, telefonieren und chatten mit Handys, die alles andere als fair hergestellt wurden (Thema Fairphone) und so weiter, ziemlich lange leider.
  • Spotttölpel: (Nachtrag vom 29.12.13) Etwas ratlos zurück ließ mich das Motiv des Spotttölpels beim Sehen von “Catching Fire”. Katniss sieht sich selbst als Spottölpel des Widerstands. Der Hintergrund ist nicht so einfach zu verstehen, Details hier. Da es Spotttölpelbroschen nach dem Vorbild des Films jetzt zu kaufen gibt, sollte man wissen, worum es geht. Die Spotttölpel, die es nur im Roman gibt, haben sich weiterentwickelt aus den vom Kapitol gezüchteten Schnattertölpeln, die die Bewohner der Distrikte aushorchten. Der Spotttölpel kann nur Melodien wiedergeben und tut dies als Schwarm. So wird er zum Symbol für die Ausbreitung der Melodie des Widerstands. Mich erinnert das an die Ausbreitung des Evangeliums durch die Jünger und an eine Stelle aus dem Matthäusevangelium: Mt. 10,27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern.
  • Das Handzeichen: (Nachtrag vom 29.12.13) Es stammt aus Distrikt 12 als Zeichen der Wertschätzung und wird zum Bekennerzeichen des Widerstands. Vielleicht hat es etwas mit einem Handzeichen der Pfadfinder zu tun, die dabei den Daumen auf den kleinen Finger legen als Zeichen dafür, dass der Große den Kleinen beschützen soll (Quelle). Mich erinnert es auf jeden Fall sehr an das Handzeichen, bei dem die Finger auffällig in drei und zwei aufgeteilt sind. Damit wird das altkirchliche Bekenntnis zur Trintität und zur Zweinaturenlehre dargestellt. Es ist in orthodoxen Christusdarstellungen weit verbreitet, vgl. z. B. diese Darstellung.

Weitere zur Diskussion anregende Motive:

  • Medienkritik: Medien verändern Wirklichkeit. Indem in Big-Brother-Manier bei den Hungerspielen alles dargestellt wird und Zuschauer als “Sponsoren” darauf reagieren können, verändert sich auch die Handlungslogik. Es geht heute, in einer Zeit der medialen Dauerpräsenz via Facebook und Co. nicht mehr nur darum, was ich wie und mit welchem Effekt tue, sondern noch viel mehr darum, wie es mir gelingt, das nach außen darzustellen. Das lässt sich unmittelbar an der Hauptdarstellerin diskutieren: Wie geht die 23-jährige  mit ihrer plötzlichen Popularität um, wird es sie verändern oder bleibt sie das “Mädchen von nebenan”, das sie im Film so überzeugend spielt.
  • Familie: Wie in vielen amerikanischen Filmen werden Familienwerte in den “Tributen von Panem” stark betont. Katniss meldet sich freiwillig als Ersatz für ihre kleine zwölfjährige Schwester Prim(rose). Sie will nicht für sich, sondern für ihre Familie überleben, die sonst keine Zukunft hätte. Ihrem Jugendfreund Gale Hawthorne hält sie über weite Strecken die Treue. Auch dieser muss – da sein Vater bei einem Bergwerksunglück umgekommen ist – die Familie mit ernähren. Aus christlicher Sicht ist zu fragen, ob die Überbetonung der (brüchig gewordenen) Familienbande nicht eine moderne Ersatzreligion geworden ist. Das afamiliäre Ethos Jesu und des Paulus, die eine innere Distanz von der Familie um Gottes willen fordern, ist oft auch uns Christen fremd geworden, relativiert aber manches an Werten, was heute als absolut gilt wie die eigene Familie. Sehr pointiert dazu Klaus Berger, Das Verhältnis von Gottes- und Nächstenbliebe.

Der Film scheint dazu beizutragen, dass sich die Jugend wieder stärker der Politik und gesellschaftlichen Fragen zuwenden, jedenfalls behauptet das dieser Artikel. Da hätten wir ja gar nichts dagegen.

Wer übrigens weitere Motive findet und sie beschreiben will, kann das gerne tun. Entweder mir mailen, dann füge ich sie hier ein, oder auf diesen Beitrag (nach Registrierung) antworten. Ich freue mich über Reaktionen und kann es nach der Erfahrung im Kino gestern nur empfehlen, diesen Film anzuschauen; er lässt auch Erwachsene nicht so schnell wieder los!

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Tribute von Panem
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