Über dieses Zitat von Martin Buber bin ich neulich gestolpert. Es redet von der Möglichkeit oder vielleicht besser der Hoffnung, die Bibel auch als jemand, der mit ihr aufgewachsen ist, so zu lesen, dass sie neu spricht. Ich finde das so treffend formuliert, dass ich es gern mit Ihnen teilen möchte. (Ich hoffe, ein solches Zitat ist urheberrechtlich erlaubt, aber ich empfehle durchaus den ganzen Text zu lesen.) Der Text stammt aus der kleinen Schrift „Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift“, die als Beilage zur Verdeutschung der Fünf Bücher der Weisung veröffentlicht wurde, die Buber zusammen mit Franz Rosenzweig unternommen hat.

Dem “heutigen Menschen” ist die Glaubenssicherheit nicht zugänglich und kann ihm nicht zugänglich gemacht werden. Wenn es ihm um die Sache ernst ist, weiß er das und darf sich nichts vortäuschen. Aber die Glaubensaufgeschlossenheit ist ihm nicht versagt. Auch er kann sich, eben wenn er mit der Sache wahrhaft Ernst macht, diesem Buch [der Bibel, für Buber die Schrift bzw. das sog. Alte Testament] auftun und sich von dessen Strahlen treffen lassen, wo sie ihn eben treffen; er kann sich, ohne Vorwegnahme und ohne Vorbehalt, hergeben und sich erproben lassen; er kann aufnehmen, mit allen Kräften aufnehmen, und erwarten, was etwa an ihm geschehen wird, warten, ob nicht zu dem und jenem in dem Buch eine neue Unbefangenheit in ihm aufkeimt. Dazu muß er freilich die Schrift vornehmen, als kennte er sie noch nicht; als hätte er sie nicht in der Schule und seither im Schein “religiöser” und “wissenschaftlicher” Sicherheiten vorgesetzt bekommen; als hätte er nicht zeitlebens allerlei auf sie sich berufende Scheinbegriffe und Scheinsätze erfahren; neu muß er sich dem neugewordenen Buch stellen, nicht von sich vorenthalten, alles zwischen jenem und ihm geschehen lassen, was geschehen mag. Er weiß nicht, welcher Spruch, welches Bild ihn von dort aus angreifen und umschmelzen, woher der Geist brausen und in ihn fahren wird, um sich in seinem Leben neu zu verleiben; aber er ist aufgetan. Er glaubt nichts von vornherein, er glaubt nichts von vornherein nicht. Er liest laut, was dasteht, er hört das Wort, das er spricht, und es kommt zu ihm, nichts ist präjudiziert, der Strom der Zeiten strömt, und dieses Menschen Heutigkeit wird selber zum auffangenden Gefäß.

 

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Martin Buber zur Bibel
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