Wäre das nicht ein Traum: eine Bibelübersetzung, die modern und gut verständlich ist, auf dem Stand der exegetischen Wissenschaft und gleichzeitig völlig frei und offen, so dass man nicht bei jedem Buch- und Digitalprojekt, das Bibeltexte einbindet, gleich an Lizenzanfragen und -gebühren denken muss.

Ist das nicht ein Albtraum für alle existierenden Bibelübersetzungen, die Verlagen gehören und sorgsam gepflegt und gehütet werden, dass es ihnen eines Tages so gehen könnte wie der Encyclopædia Britannica, die 244 Jahre lang gedruckt und als edle Regalfüllung teuer erworben wurde und seit 2012 nur noch digital als Schatten ihrer selbst erscheint. 2014 hat den “großen” Brockhaus in Deutschland das gleiche Schicksal ereilt. Woher ich das weiß? Aus Wikipedia natürlich, der zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass die Qualität der Artikel und vor allem ihre Aktualität diejenige der gedruckten Lexika in vielen Fällen übertrifft, dass Debatten leichter nachvollziehbar sind, weil der Text nicht in Bleilettern gegossen ist, sondern sich hinter jedem Artikel zum Teil breit geführte Diskussionen verbergen, die zeigen, dass die Wahrheit der Lexika oft genug mit dem Mühen um einen Konsens verbunden ist. Man sieht das zum Beispiel bei der Energiewende, wo hier über den Artikel diskutiert wird: https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Energiewende .

Wahrscheinlich ahnt man es schon: Der Traum wird sehr real geträumt und ist gerade dabei, konkret Gestalt anzunehmen in Form der Offenen Bibel, die sowohl online http://offene-bibel.de/ als auch – seit dem Kirchentag – offline verfügbar ist.

Auf dem Kirchentagsstand der Offenen Bibel (s. o.) habe ich ein Exemplar der Studienausgabe des Markusevangeliums erhalten und gleichzeitig das Versprechen gegeben, dieses zu rezensieren. Denn – wen wundert’s – die finanziellen Mittel sind bei einem solchen Projekt, das auf Beteiligung bei der Übersetzung aus dem Urtext der Bibel setzt, knapp. Deshalb können neben dem frei verfügbaren Text nicht auch noch massenhaft Bücher verschenkt werden.

Dass ich ein großer Fan des Projekts bin bekenne ich vorab. Für einen OER- und Open-Source-Fan (vgl. meine Artikel zu Open Sankoré und zu einem offenen digitalen Religionsbuch) ist das sicher nicht verwunderlich. Trotzdem muss man bei einer Bibelübersetzung genau hinschauen. Schließlich geht es hier um die Grundlage unseres Glaubens, da darf es bei der Qualität keine Kompromisse geben.

Beobachtungen

Was ist mir aufgefallen beim Lesen der Studienausgabe?

  • Das Vorwort gibt einen guten und motivierenden Einblick in den Hintergrund des Projekts. Für meinen Geschmack könnte es ruhig noch ausführlicher sein.
  • Der Bibeltext wirkt sehr solide und gut übersetzt und erinnert dabei ein wenig an die Elberfelder-Übersetzung. Er enthält viele Zusatzinformationen, die für genaues Bibelstudium hilfreich sind. Allerdings ist ein flüssiges Lesen und Vorlesen des Textes mühsam. Dafür ist die Studienausgabe aber auch gar nicht gedacht, schließlich gibt es parallel jeweils eine Lesefassung und sogar eine Fassung in Leichter Sprache.
  • Es gibt vier Arten von Text-Auszeichnung. Alternativübersetzungen in Klammern, Einfügungen in eckigen Klammern, Auslassungen in geschweiften Klammern sowie Fußnoten. Die Fußnoten sind extrem ausführlich. Das ist für eine Studienfassung sicher angemessen, führt aber dazu, dass auf vielen Seiten vier Fünftel aus Fußnoten besteht und der Text oben doch sehr an den oberen Rand gedrängt wird. Vielleicht sollte man überlegen, mit Endnoten zu arbeiten oder doch in der gedruckten Fassung nicht alle Anmerkungen der digitalen Ausgabe übernehmen. Etwas verwirrend ist, dass der Text zwischen geschweiften Klammern durchgestrichen ist. Das kommt bei jeder Übersetzung vor, dass nicht jedes Wort einzeln übersetzt wird. Wenn das Wort allerdings durchgestrichen ist, macht das auf mich einen merkwürdigen Eindruck. Schließlich steht dahinter ja ein Urtext-Wort der Bibel. Mir würde es besser gefallen, wenn man den Text zwischen den geschweiften Klammern einfach in einem helleren Grau druckt.

Druckbild

So sieht das Druckbild der Studienfassung aus. Grundsätzlich gefällt mir das gut bis auf die oben benannten Beobachtungen zu den Fußnoten. Aufgrund der freien Lizenz kann ohnehin jeder eine Druckfassung herausbringen, die seinen Vorstellungen entspricht.

offenebibel02

Übersetzungsvergleich

Wenn man die beiden Fassungen der Offenen Bibel mit der sehr empfehlenswerten Basisbibel und der traditionellen Lutherbibel vergleicht, stellt man fest, dass die Basisbibel oft noch einen Schritt weitergeht. Aus dem Sämann wird ein Bauer, aus den Wurzeln werden tiefe Wurzeln, die Vögel picken die Körner statt sie einfach zu fressen. Am Beispiel der Wurzeln ist durch den Vergleich mit der Studienfassung schön zu sehen, was im Urtext steht, auch wenn man kein Griechisch beherrscht.

Off. Bibel Studienfassung Off. Bibel Lesefassung Basisbibel Lutherbibel
Und wieder einmal (erneut) begann er am Meer (See) zu lehren. Und eine so gewaltige Menschenmenge versammelte sich bei ihm, dass er in ein Boot stieg und [darin] auf dem Meer (See) saß, und die ganze Menschenmenge blieb (war) am Ufer an Land. Und wieder begann er am See zu lehren. Eine so gewaltige Menschenmenge versammelte sich bei ihm, dass er in ein Boot stieg und vom Wasser aus zu den Menschen am Ufer sprach. Wieder einmal war Jesus am See und wollte zu den Menschen sprechen. Es versammelte sich eine so große Volksmenge um ihn, dass er in ein Boot stieg. Dort setzte er sich hin. Er war auf dem See und die Volksmenge blieb am Ufer.  Und er fing abermals an, am See zu lehren. Und es versammelte sich eine sehr große Menge bei ihm, sodass er in ein Boot steigen musste, das im Wasser lag; er setzte sich, und alles Volk stand auf dem Lande am See.
Und er lehrte sie mit (mithilfe, in) Gleichnissen (bildhaften Vergleichen) viele [Dinge] (lange) und er sagte zu ihnen, während er lehrte (bei/in/während seiner Lehre): Er lehrte sie lange und gebrauchte dabei Gleichnisse (bildhafte Vergleiche). So sagte er: Jesus erklärte ihnen vieles durch Gleichnisse und lehrte sie. Und er lehrte sie vieles in Gleichnissen; und in seiner Predigt sprach er zu ihnen:
„Hört! Seht! (Einmal) Der Säende (Sämann) machte sich auf, [um] zu säen. „Hört mir zu! Einmal machte sich ein Sämann auf, um zu säen. Jesus sagte zu den Menschen: »Hört mir zu! Seht doch: Ein Bauer ging aufs Feld, um zu säen.  Hört zu! Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen.
Und beim Säen kam es dazu (geschah es), [dass] ein [Teil des Saatguts] ([Samenkorn]) an den Wegesrand (auf den Weg) fiel, und die Vögel kamen und fraßen es auf. Und beim Säen passierte es, dass ein Teil der Samenkörner auf den Feldweg fiel, und die Vögel kamen und fraßen es auf. Während er die Körner auswarf, fiel ein Teil davon auf den Weg. Da kamen die Vögel und pickten sie auf. Und es begab sich, indem er säte, dass einiges auf den Weg fiel; da kamen die Vögel und fraßen’s auf.
Und ein anderer [Teil] fiel auf felsigen Boden, wo er nicht viel Erde hatte, und [die Saat] ging schnell auf, weil sie keine tiefe Erde hatte. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde gab. Die Saat ging zwar schnell auf, Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde gab. Die Körner gingen schnell auf, weil sie nicht tief im Boden lagen. Einiges fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging alsbald auf, weil es keine tiefe Erde hatte.
Doch (und) als (nachdem) die Sonne aufging (hochstieg), wurde [die Saat] versengt, und weil sie keine Wurzeln hatte, verdorrte sie (trocknete sie aus). doch als die Sonne empor stieg und brannte, verdorrte die Saat, weil sie keine Wurzeln hatte. Aber als die Sonne hoch stand, wurden die Pflanzen verbrannt. Sie vertrockneten, weil sie keine tiefen Wurzeln hatten. Als nun die Sonne aufging, verwelkte es, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es.
Und ein anderer [Teil] fiel zwischen die Dornengewächse (Dornbüsche, Dornen), und die Dornengewächse (Dornbüsche, Dornen) wuchsen auf (überwucherten) und erstickten [die Saat], und sie brachte keine Frucht. Ein weiterer Teil fiel zwischen Dornbüsche; die Dornbüsche überwucherten alles, und die Saat brachte auch dort keine Frucht. Ein weiterer Teil fiel zwischen die Disteln. Die Disteln schossen hoch und erstickten die junge Saat. Deshalb brachten sie keine Frucht. Und einiges fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen empor und erstickten’s, und es brachte keine Frucht.
Und andere [Körner] ([Teile]) fielen auf {den} guten Boden (Erde) und brachten Frucht, indem (während, wobei) sie aufgingen (aufwuchsen) und wuchsen, und ein [Samenkorn] ([Teil der Saat]) brachte 30, {und} eins 60 und eins 100 [Körner] hervor ([das Saatgut] trug dreißig- {und}, sechzig- und hundertfach [Frucht]).“ Aber ein Teil der Körner fiel auch auf guten Boden. Dort ging die Saat auf, sie wuchs und brachte reichlich Frucht: teils dreißigmal, teils sechzigmal, teils sogar hundertmal so viele neue Körner.“ Aber ein anderer Teil fiel auf guten Boden. Sie gingen auf und wuchsen heran und brachten Frucht: Manche Pflanzen brachten dreißig, andere sechzig, andere sogar hundert Körner Frucht.«  Und einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges sechzigfach und einiges hundertfach.
Dann (und) sagte er: „Wer Ohren hat [zum] Hören, soll hören (höre)!“ Dann sagte er: „Wer Ohren hat zum Hören, soll hören!“ Und Jesus sagte: »Wer Ohren zum Hören hat, soll gut zuhören.« Und er sprach: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Wissenschaftlichkeit

Das Offene-Bibel-Team hat sich selbst strenge Maßstäbe an die Wissenschaftlichkeit der Studienfassung auferlegt. Die Übersetzungskriterien müssen dafür sorgen, dass die Bibel insgesamt solide und nach vergleichbaren Grundsätzen übersetzt ist. Man wünscht dem Projekt viele Studierende, die fit sind in den Ursprachen und ein wenig ihrer kostbaren Zeit für dieses Projekt einsetzen. Spannend wird die Frage sein, ob es gelingt, trotzt der unterschiedlichen Übersetzer eine einheitlich wirkende Übersetzung zu erstellen. Schade wäre es, wenn man merkt, wer wo am Werk war und z. B. ähnliche Begriffe völlig unterschiedlich wiedergegeben würden. Hier wird die Qualitätssicherung gefragt sein, die sonst Aufgabe der Verlage ist. Was ich allerdings bei der Studienausgabe gesehen habe, sieht wirklich vielversprechend aus und könnte womöglich neben anderen Bibelübersetzungen auch gleich noch der Gattung Kommentare Konkurrenz machen.

Leichte Sprache

Genial ist auch der Versuch, die Offene Bibel in Leichter Sprache zugänglich zu machen, die auch für Menschen mit eingeschränkten Verstehensmöglichkeiten lesbar oder hörbar ist. Erste Beispiele sieht man hier: http://offene-bibel.de/wiki/Leichte_Sprache Mit gutem Beispiel voran geht hier ja der Kirchentag, der die Bibeltexte der Bibelarbeiten und der Gottesdienste immer auch in Leichter Sprache zugänglich macht. Ein solcher Bibeltext wäre ein riesiger Schatz. Meines Wissens existiert bisher keine vollständige Bibelübersetzung in Leichter Sprache. Das Katholische Bibelwerk bietet immerhin die Sonntagslesungen des Evangeliums in Leichter Sprache (hier: https://www.bibelwerk.de/Sonntagslesungen.39460.html/Evangelium+in+Leichter+Sprache.105125.html).

Die Creative-Commons-Lizenz

Die offene Bibel steht natürlich unter einer offenen Lizenz. Gewählt wurde die Variante CC BY-SA 3.0 ( http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/ ), bei der man verpflichtet ist, Änderungen unter den gleichen Lizenzbedingungen weiterzugeben. Schon länger überlege ich mit einigen zusammen, eine Konfi-App herauszugeben. Diese wird jetzt wohl zusammen mit der Bibelgesellschaft Wirklichkeit werden. Aber wenn jemand anderes das versuchen will und eine Bibel integrieren, ist die Offene Bibel der natürliche Kandidat dafür. Denn die offene Lizenz ermöglicht es, ohne Kosten und Rücksicht auf Urheberrechteinhaber eigene Ideen zu verwirklichen. Ganz im Sinne des Slogans der Offenen Bibel

Nur offene Bücher können gelesen werden.

Dass die Bibel auch in deutscher Sprache ein lizenzrechtlich offenes und sprachlich verständliches Buch ist und bleibt, dazu könnte die Offene Bibel im 21. Jahrhundert einen revolutionären Beitrag leisten – wenn es denn gelingt, ausreichend Mitwirkende zu gewinnen, die man sicher auch gut und gern durch Spenden motivieren und von anderer Arbeit freistellen kann. Was solche Übersetzerarbeit wert ist, sieht man schön an den Kosten für die Basisbibel, von der es besser wäre, sie wäre heute als erst morgen fertig.

 

 

 

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Offene Worte zur Offenen Bibel – Rezension der Studienausgabe des Markusevangeliums
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4 Kommentare zu „Offene Worte zur Offenen Bibel – Rezension der Studienausgabe des Markusevangeliums

  • Pingback:Alles Luther 2017 oder was? Welche Bibelübersetzungen sich für Konfis eignen – rpi-virtuell News

  • Pingback:Was ist eigentlich die beste Konfi-Bibel? – Ebiblog

  • 20. September 2015 um 17:38 Uhr
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    Als Betreiber und Betreuer von freie-bibel.de (gemeinfreie und frei lizenzierte deutsche Bibelübersetzungen) und free-scriptures.org (frei lizenzierte Werkzeuge für den Umgang mit Bibeltexten) bin ich für die technische Umsetzung des Druckbildes verantwortlich und mag darauf hinweisen, dass wir bereits eine Liste von Verbesserungsvorschlägen angefangen haben, die unter http://offene-bibel.de/node/1689 zu finden ist. Mit der Print-Aufbereitung des nächsten Bibelbuches sollen diese berücksichtigt werden und dann idealerweise auch gleich auf das Markus-Evangelium zurückreflektiert werden. Wenn jemand sich ein eigenes Drucklayout entwerfen will, kann ich da auf Wunsch behilflich sein, während die dafür verwendeten Werkzeuge ohnehin jedermann zur Verfügung gestellt sind.

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    • 20. September 2015 um 20:20 Uhr
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      Vielen Dank für den Hinweis. Habe gerade gesehen, dass mein Vorschlag dort schon eingetragen ist. Da war jemand fleißig und aufmerksam. Merci.

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