Am 8. April fand in Halle eine spannende Tagung unter dem Titel “Religiöse Jugendfeiern zwischen Jugendweihe und Konfirmation” statt (Tagungsprogramm). Eingeladen wurde von der Forschungsstelle Religiöse Kommunikations- und Lernprozesse der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lehrstuhl Prof. Dr. Michael Domsgen. Und es gab eine volle Hütte in Halle, außer zahlreichen Württembergern waren auch viele der Alpika-KA-Kolleg/innen da. Hier mein – blogüblich subjektiv gefärbter – Bericht:
Der Osten Deutschlands ist durch seine besondere Geschichte ein spannendes Untersuchungsfeld für die Feierkultur von Schwellenritualen beim Übergang in das Erwachsenenalter. Durften die Kirchen anfangs noch hoffen, dass die Konfirmationen aufblühen und das kirchliche Leben sich westlichen Üblichkeiten angleichen würde, wurde man schnell eines besseren belehrt: Nach der Statistik des Bundesverbands Jugendweihe mit Zahlen ab 1991 (hier einzusehen) blieb die Jugendweihe anfangs erstaunlich stabil, ab 2006 gab es einen spürbaren Einbruch bis zum Tiefstand 2008 mit nur noch 25.023 Teilnehmenden. Allerdings lässt sich seitdem wieder eine Zunahme feststellen, die nicht demographisch erklärbar ist auf zuletzt (2014) 36.307 Teilnehmende. Diese Zahlen sind bundesweit erfasst, spiegeln aber sicherlich weitgehend ostdeutsche Verhältnisse. Natürlich ist das nicht viel verglichen mit 227.211 Konfirmationen (Erhebung 2012, https://www.ekd.de/statistik/amtshandlungen.html). Aber im Osten sieht es eben doch ganz anders aus. Hier haben 2010 laut Referat von Emilia Handke 30% der Jugendlichen eines Jahrgangs an der Jugendweihe, 5% an der Jugendfeier des humanistischen Verbands, 14% an der Konfirmation, 3% an der Firmung teilgenommen. Auffällig ist, dass in der Summe fast 50% an keinem Übergangsritual teilnehmen.
Einführung Prof. Domsgen
Michael Domsgen stellte in seiner Einführung die religiösen Jugendfeiern als eine begrüßenswerte Entwicklung vor. Angesichts des Trends zur Privatisierung ehemals öffentlicher Feiern sind sie eine Chance für die Kirche. Besonders deutlich wurde seine positive Einschätzung religiöser Jugendfeiern in kirchlicher Verantwortung im Film der gezeigt wurde (siehe unten Einladungsfilm zur Tagung) und der fast schon werbenden Charakter hat. Seine These: Im Osten lassen sich gesellschaftliche Transformationsprozesse besonders klar erkennen. Es sei allerdings schwer zu sagen, ob dies eine historische Sondersituation ist oder ob hier vorausgreifende Problemlagen erkenn- und diskutierbar sind, die früher oder später auch im Westen ankommen werden.
Referat Emilia Handke
Es folgte das Referat von Emilia Handke, derzeit sicher die beste Kennerin des Feldes religiöser Jugendfeiern, weil sie über dieses Thema ihre Dissertation schreibt. Bildhaft fragte sie, ob man denn den religiösen Jugendfeiern 2016, wenn sie volljährig geworden sind, von kirchlicher Seite mit einem Blumenstrauß in der Hand gratulieren solle. Sie würde es tun, das war deutlich, und fand im Lauf der Tagung viele, die sich verbal anschlossen und ebenfalls Blumen versprachen. Denn es wurde deutlich, dass die religiösen Jugendfeiern keine Konkurrenz zur Konfirmation darstellen. Derzeit gibt es 30 religiöse Jugendfeiern in Ostdeutschland. Begonnen hat alles 1997/98 im katholischen Dom in Erfurt mit einer sog. “Lebenswendefeier”, die von Reinhard Hauke entwickelt und erstmals 1998 gefeiert wurde.
Der Begriff meint die Lebenswende vom Kind zum Jugendlichen und wurde neu gebildet in Anlehnung an Begriffe wie “Feier der Taufe”, “Feier der Firmung”, “Feier der Krankensalbung” etc. Anfangs war er wohl sehr umstritten, wie man hier nachlesen kann (Reinhard Hauke, “Die Feier der Lebenswende” – ein christliches Übergangsritual für Ungetaufte, in: Hartmut M. Griese (Hrsg.), Übergangsrituale im Jugendalter. Jugendweihe, Konfirmation, Firmung und Alternativen. Positionen und Perspektiven am “runden Tisch”, LIT Verlag Münster 2000) . Ganz durchgesetzt hat er sich nicht.
Die Dissertation von Emilia Handke soll nächstes Jahr abgeschlossen sein und verspricht spannende Einblicke mit vielen O-Tönen von Jugendlichen und Eltern. Auf die Frage, warum sich Jugendliche nicht konfirmieren lassen, war eine häufig gehörte Antwort: “Weil ich nicht getauft bin”. So kam Emilia Handke zur “bitteren Diagnose”, die Konfirmation komme für Konfessionslose als rituelles Angebot kaum in Frage. Damit seien religiöse Jugendfeiern auch keine echte Konkurrenz für die Konfirmation. Denn die Frage der Kirchenmitgliedschaft, die sich durch die verpflichtende Taufe stellt, können und wollen viele Jugendliche in diesem Alter (noch) nicht beantworten und auch die Eltern sind hier eher zögerlich oder selbst konfessionslos.
Als Hauptbeispiel wurde die die religiöse Jugendfeier der Evangelischen Sekundarschule Haldensleben vorgestellt (Einblick über die Links unten), die Schulleiterin Pia Kampelmann und der Gemeindepädagoge Robert Neumann berichteten im Workshop noch detailliert über ihr Modell, bei dem praktisch alle Schüler/innen eines Jahrgangs freiwillig am Zusatzangebot der religiösen Jugendfeier mit zusätzlichen Stunden zum regulären Schulunterricht teilnehmen.
Der Schwerpunkt bei der Feier liegt hier stark auf dem Segen. Ein Jugendlicher wurde zitiert mit der schönen Aussage “Segen hat was”. Gegenüber der Jugendweihe ist der Segen ein Mehrwert, genauso wie die Kirche als Ort mit Ausstrahlung, während Jugendweihefeiern ja meist in Stadthallen o. ä. stattfinden.
Podiumsgespräch mit Birgit Sendler-Koschel (Leiterin EKD Bildungsabteilung)
EKD-Oberkirchenrätin für Bildung Birgit Sendler-Koschel, früher württembergische Schuldekanin und Konfi-Frau im Beirat der Bezirksbeauftragten für Konfirmandenarbeit, sollte unter der Überschrift “(Warum) Schweigt die EKD?” Stellung beziehen. Zunächst verwies sie auf die Erwähnung religiöser Jugendfeiern in der EKD-Orientierungshilfe “Glauben entdecken” (online hier nachzulesen: http://www.ekd.de/EKD-Texte/44603.html). Allerdings findet 1998 natürlich noch keine Auseinandersetzung mit religiösen Jugendfeiern in kirchlicher Trägerschaft stattfinden, diese gab es ja in diesem Jahr erstmals. Aber auch einen Wunsch nach einer solchen Feier kann ich nicht finden. Hier zwei Passagen daraus:
Den Kirchenleitungen in der DDR wurde zunehmend bewußt, daß es nicht ausreichte, Konfirmation und Jugendweihe (unter Aufnahme einer Lebensordnung der Altpreußischen Union von 1930) für unvereinbar zu erklären und die bisherige Konfirmationspraxis – wie auch immer sie jeweils aussah – lediglich unter apologetischen Protesten fortzuführen. Wenn die Kirchen in den Schulen oder in anderen nichtkirchlichen Einrichtungen nicht mehr öffentlich wirken konnten, mußten sie sich auf ihre eigenen Möglichkeiten konzentrieren. Damit wurden die Kirchengemeinden bedeutungsvoller. Sie standen vor der Aufgabe, »mit den Lebensäußerungen aller ihrer Glieder den Raum zu schaffen und der Raum zu sein, in dem pädagogische Prozesse zustande kommen und fruchtbar werden können« (Leitlinien für das Pädagogische Handeln der Kirche von 1983). Angesichts der Kirchenfeindlichkeit in Staat und Gesellschaft und der Abwertung alles Religiösen reichte hier eine isolierte Unterrichtsveranstaltung nicht aus. Kinder und Jugendliche sollten in der Gemeinde entdecken und befragen können, wie sich der Glaube leben und in Gefährdungen bewähren läßt. Christenlehre und Konfirmandenunterricht fiel die Aufgabe zu, die Heranwachsenden auf Konflikte einzustellen und ihnen zu helfen, sie zu bestehen.
In diesem Zusammenhang wurde das Verständnis von Konfirmation zu einem Verständnis von »Konfirmieren« als einem übergreifenden und längeren Vorgang weiterentwickelt. Die belastenden Erfahrungen der Minorisierung in einer inzwischen mehrheitlich konfessionslosen Umwelt – erstmals im deutschen Protestantismus – nötigten zu einem Paradigmenwandel, der sich im Rahmenkonzept »Das konfirmierende Handeln der Gemeinde« (1973/1975) niederschlug (vgl. auch die von der Landessynode der Ev. Kirche von Westfalen 1972 den Gemeinden empfohlene Vorlage »Zum konfirmierenden Handeln der christlichen Gemeinde«). (Quelle: http://www.ekd.de/EKD-Texte/glauben_1998_glauben1.html)
Konfirmation und Teilnahme an der Jugendweihe: Das Verhältnis beider Feiern zueinander könnte inzwischen relativ entspannt sein. Beide wollen die Heranwachsenden in einer für sie schwierigen Lebensphase rituell stützen – die Konfirmation mit dem, was sie aus der christlichen Überlieferung und mit dem Erfahrungsraum Gemeinde beitragen kann, die Jugendweihe mit einer jetzt vermeintlich entideologisierten, weltlich gemeinten Feierhandlung, in die alle Teilnehmenden das eintragen können, was ihnen zu diesem Termin selbst wichtig ist. Dennoch ist die Jugendweihe nicht einfach bekenntnisneutral – weder die »gewendete« aus der östlichen sozialistischen Tradition noch die »humanistische« aus der westlichen Tradition. Die Auseinandersetzung mit der Jugendweihe wird darum weitergehen, und nicht nur um eines verlorengegangenen oder bedrohten kirchlichen Terrains willen. (Quelle: http://www.ekd.de/EKD-Texte/glauben_1998_glauben2.html )
Konkrete, allerdings eher warnende Aussagen zu kirchlichen Jugendfeiern gibt es in den “12 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Jugendweihe/Jugendfeier und ihrem Verhältnis zur Konfirmation” von 1999 unter der Überschrift “Jugendliche begleiten und gewinnen”. Online hier: http://www.ekd.de/EKD-Texte/jugendliche_begleiten_1999.html Insgesamt sehr lesenswert, hier zwei zentrale Passagen:
These 6. Gegenüber der Jugendweihe/Jugendfeier verfügt die Kirche in der Konfirmation und der damit verbundenen Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden über das umfassendere Angebot. Sie sollte es selbstbewußt profilieren.
In der pluralen und säkularen Situation Ostdeutschlands läßt sich eine neue Zustimmung zur Konfirmation nicht dadurch erreichen, daß man versucht, die Jugendweihe/Jugendfeier durch Antagonismen und Feindbilder zurückzudrängen. Die Menschen, die heute die Jugendweihe/Jugendfeier in Anspruch nehmen oder mit ihr sympathisieren, würden diese Polemik im Grunde nicht verstehen. Die Kirche muß die Jugendweihe/Jugendfeier nicht fürchten. Sie kann das Verhältnis zu den Jugendlichen und ihren Familien aus den Möglichkeiten heraus gestalten, die sie seit je in sich selbst trägt. Das konfirmierende Handeln ist ein aktiver, subjektorientierter und gesellschaftsoffener Prozeß, der die Jugendlichen einbezieht und ihnen neue Dimensionen erschließt. Das Angebot des Evangeliums nimmt die individuellen und gesellschaftlichen Lebensfragen der Jugendlichen auf, die alltäglichen ebenso wie die übergreifenden nach Ursprung, Sinn und Ziel unseres Lebens. In der Konfirmandenarbeit begegnen die Jugendlichen unterschiedlichen Formen und Inhalten, die sie eigenständig erproben und aneignen können. Hier können sie “Glauben entdecken”. Dieses besondere Angebot muß die Kirche – in Ost- und Westdeutschland – betonen und ausbauen. Sie hat keinen Anlaß, sich nur reaktiv zu verhalten oder gar sich angesichts der veränderten Ritenkonkurrenzen lähmen zu lassen.
[…]
11. Eine für konfessionslose Jugendliche geöffnete Konfirmandenarbeit erübrigt eine eigenständige “kirchliche Jugendfeier”.
Verschiedentlich wird gefordert, die Kirche solle, um der Jugendweihe/Jugendfeier ihren Markt streitig zu machen, eine separate kirchliche Jugendfeier für diejenigen anbieten, die der Kirche nicht angehören und nicht getauft/konfirmiert werden wollen. Ein solcher “Dritter Weg” neben Jugendweihe/Jugendfeier und Konfirmation erübrigt sich jedoch, wenn die Kirche mit ihrer Konfirmandenarbeit konsequent auch auf die konfessionslosen Jugendlichen zugeht. Sie muß die Schwellenängste dieser Jugendlichen abzubauen versuchen und auf deren Bedürfnisse aktiv und qualifiziert reagieren (vgl. 6. und 7.). Dazu sind eine Weiterarbeit am Konzept des “Konfirmierenden Handelns der Gemeinde” und eine stärkere Verzahnung mit der Kinder und Jugendarbeit notwendig.
Diese skeptische EKD-Haltung zu kirchlichen Jugendfeiern gab Sendler-Koschel auf der Bühne nicht völlig auf und meinte, dass wir die Stabilität der Konfirmation als Kirche nicht selbst gefährden sollten. Immerhin gebe es bundesweit 6% Taufen im Rahmen der Konfirmation bzw. Konfirmationsvorbereitung, was zeige, dass die Konfirmandenzeit offen sei für Konfessionslose. Allerdings könne eine kirchliche Jugendfeier durchaus eine Bereicherung des religiösen Profils einer Schule in kirchlicher Trägerschaft sein. Ihre Rückfrage an die Veranstalter, warum man nicht von christlicher Jugendfeier statt von religiöser spreche, fand ich sehr nachvollziehbar. In den persönlichen Statements war allerdings doch ein Abrücken von der strikt ablehnenden Haltung zu erkennen. Insgesamt ein starker und reflektierter Auftritt, der gezeigt hat, dass es doch sinnvoll ist, dass eine EKD Entwicklungen in den einzelnen Gliedkirchen beobachtet, kommentiert und gemeinsame Positionen entwickelt. Alle mussten lachen beim Schlusswort von Prof. Domsgen: “Wir haben auch gelernt, dass die EKD hier gar nicht schweigen kann, weil sie immer schon mal irgendwo was gesagt hat.” Ich muss ehrlich zugeben, dass ich die 12 Thesen von 1999 auch zum ersten Mal gelesen habe.
Workshops
Es folgte eine Phase, bei der man einen von drei Workshops besuchen konnte. Hagen Kühne berichtete sehr beeindruckend vom Projekt E aus Eberswalde, “Ethik mit Spaß für Teenies ab 13”. Träger war ein ökumenischer Arbeitskreis und die Diakonie Lobetal. Eine Segenshandlung wurde nicht angeboten, zum Abschluss gab es eine große Abschlussveranstaltung mit vielen tollen Beiträgen der Jugendlichen und ein Zertifikat. Die örtlichen Konfirmanden haben ebenfalls teilgenommen und feierten später ihre Konfirmation. Hier kann man online einen Projektbericht nachlesen: http://www.akd-ekbo.de/files/Erfahrungsbericht_proJekt_E_2011-1.pdf Leider konnte das Projekt nach fünf Jahren nicht fortgeführt werden, da sich die Stellensituation änderte. Aber die Erfahrung war klar: Nach fünf Jahren ist es vorbei mit der Jugendweihe, wenn es ein attraktives Alternativprogramm gibt, das viele Jugendliche eines Jahrgangs anspricht.
Vortrag Prof. Michael Meyer-Blanck
Ein echtes Highlight war für mich der Vortrag von Prof. Meyer-Blanck, dessen Text zum Konfirmationsverständnis ich nach wie vor für etwas vom Besten halte, was dazu geschrieben wurde (Konfirmation als öffentliche Darstellung mündigen Christseins http://www.rpi-loccum.de/material/konfirmandenarbeit/blkonf). Grundsätzlich begann er und zitierte das schöne Diktum von Karl Dienst, nach dem “die Konfirmation einem Tannenbaum gleicht, an dem je nach Situation und Tradition eine verschiedene Anzahl (nicht nur theologischer) Kerzen entzündet werden.” (Die Konfirmation zwischen Kasualie und Gemeindepädagogik, in: EvErz, 1992, 494) Dabei betonte er, dass die Konfirmation nicht nur die Kasualie der Mündigkeit, sondern auch die der Kirchlichkeit sei. Sehr klar forderte er eine Neubestimmung des Verhältnisses von religiöser Jugendfeier und Konfirmation. Es brauche ein alternatives Angebot, einen dritten Weg. Dieser sei von der Kirche zumindest in Ostdeutschland deutlich zu fördern. Ein solches Angebot mit Segen könne durchaus der Profilierung der Konfirmation dienen, bei der die glaubende Antwort des Jugendlichen dann eine größere Bedeutung erhalte, was verhindere, dass die Konfirmandenzeit zum “religiösen Flachbau” verkomme. Die Jugendfeiern wären dann eine offene und missionarische Initiativen der Kirchen mit Segen und starker Beteiligung der Jugendlichen selbst.
Prof. Werner Helsper
Prof. Helsper beschäftigte sich in seinem Vortrag mit schulischen Feiern und analysierte sehr wortgewandt Reden bei Schulfeiern. Mit deutlichen Worten warnte er davor, dass Schulfeiern zu einer institutionalisierten Lüge werden und zu “Ritualen der Unterwerfung”. Schulen stehen eben immer in der Spannung zwischen dem Wunsch nach Vergemeinschaftung und der notwendig Differenzierung und dem Wert legen auf die Leistung des Einzelnen. Insgesamt ein klares Plädoyer dafür, andere, nichtschulische Anbieter bei einem Schwellenritual am Übergang zum Jugendalter zum Zuge kommen zu lassen.
Abschließende Podiumsdiskussion
Bei der Diskussion waren für mich vor allem die Voten der beiden Mütter spannend, deren Kinder an einer religiösen Jugendfeier teilgenommen hatten. Sie zeigten die große Offenheit, die hier herrscht, selbst wenn die Familie konfessionell nicht gebunden ist.
Mein Fazit
Mich hat die Tagung in der Überzeugung bestärkt, dass wir auch als westliche Landeskirche stärker über die Frage nachdenken müssen, ob wir die Feier der Konfirmation und die Kirchenmitgliedschaft nicht entkoppeln können. Die 10. These von 1999 enthält hier bereits sehr bemerkenswerte Aussagen, die m. E. noch lange nicht im Bewusstsein vieler Pfarrer/innen und Kirchengemeinden angekommen sind.
These 10. Die Kirche lädt konfessionslose Jugendliche ein, an der Konfirmandenarbeit teilzunehmen. Ebenso begleitet sie konfessionslose Jugendliche in ihrer Bildungs- und Sozialarbeit.
Wo Entkirchlichung und Konfessionslosigkeit zur gesellschaftlichen Normalität wurden, sind Begegnungen mit Christentum und Kirche nötig, um Mißverständnisse zu bearbeiten und Vorurteile zu überwinden. Wie sonst soll man Zugang zu den Inhalten christlichen Glaubens finden, “Glauben entdecken” können? Darum hat die Kirche bereits in der DDR die Konfirmandenarbeit geöffnet und konfessionslose Jugendliche eingeladen, Glauben und Kirche kennenzulernen. Das ist heute um so deutlicher zu betonen und zu praktizieren.
Wenn die Konfirmandenarbeit für konfessionslose Jugendliche geöffnet wird, geschieht das mit dem Ziel, sie in alle Angebote und Konsequenzen des konfirmierenden Handelns einzubeziehen. Dieses Handeln ist allerdings als ein offener Prozeß zu verstehen (vgl. 6.), der sich letztlich nicht auf das Alter von 12 – 15 Jahren beschränken läßt. Daher kann es sein, daß die Jugendlichen zwar in der Konfirmandengruppe heimisch werden und einen ersten Zugang zu Glauben und christlicher Gemeinschaft gewinnen, aber die Kirche ihnen fremd bleibt, so daß sie den Schritt zur Kirchenmitgliedschaft (noch) scheuen. Religion und Institution sind keine deckungsgleichen Größen, Nähe und Distanz zum christlichen Glauben und zur Kirche sehr unterschiedlich ausgeprägt (vgl. die dritte EKD-Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung “Fremde Heimat Kirche”).
Die Problematik von Mitgliedschaft und Verbindlichkeit kennen auch die kirchlichen Werke und Verbände und ähnlich Parteien, Gewerkschaften, Vereine etc. Der Wille, die Fähigkeit sowie die Art und Weise (langfristige) Bindungen einzugehen, haben sich in unserer Gesellschaft allgemein verändert. Viele Menschen sind eher bereit, sich auf einer bestimmten Ebene intensiv zu engagieren oder sich auf ein definiertes Projekt einzulassen, ohne dieses Engagement gleich in eine konkrete Mitgliedschaft überführen zu wollen.
Dies alles ist zu bedenken, wenn konfessionslose Jugendliche in der Konfirmandengruppe vor Taufe und Kirchenmitgliedschaft zurückweichen und trotzdem nach einem besonderen Abschluß ihrer Konfirmandenzeit fragen. Auf dieses Anliegen können und müssen die Verantwortlichen differenziert reagieren. Es muß ihnen daran gelegen sein, die Konfirmandenzeit so zu beenden, daß sich der begonnene Prozeß in der Zukunft fortsetzen kann, Brücken und Wege offen bleiben. Ein solcher Abschluß kann zum Beispiel eine besonders gestaltete Agapefeier in der Konfirmandengruppe sein (vgl. “Glauben entdecken”, S. 36). Sie betont den in der Gruppe wichtigen Gemeinschaftsaspekt und weist im Füreinander-Aufkommen, Einander-Zuvorkommen und Miteinander-Teilen auf die Gemeinschaft der Christen und die Feier des Abendmahls hin. Eine weitere Abschlußmöglichkeit ist ein “Reisesegen” – in der Gruppe oder im Rahmen eines Gottesdienstes. Auf jeden Fall sollte den Jugendlichen ein Dokument ausgehändigt werden, das ihnen die Teilnahme am Konfirmandenunterricht bescheinigt und das im Falle eines Kircheneintritts Verwendung findet. Eine Kirche, die auf diese Weise Jugendlichen entgegengeht und sie begleitet, verleugnet ihre Inhalte nicht.
Auf eine andere Weise sind die jüngsten Versuche in kirchlichen Bildungs- und Sozialeinrichtungen, im Rahmen einer besonderen Veranstaltung konfessionslose Jugendliche, die zu diesen Einrichtungen gehören, in einer bestimmten Altersphase als Kirche zeichenhaft zu begleiten, als Experimente mit offenem Ausgang zu verstehen. Sie können im Einzelfall sinnvoll sein, wenn dabei jeder Anklang an die Konfirmation bzw. die Jugendweihe/Jugendfeier vermieden wird. Zudem ist es unverzichtbar, daß sich die Jugendlichen im Rahmen eines mehrmonatigen Prozesses mit ihrer Lebenssituation auseinandersetzen und durch die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese Veranstaltung vorbereitet werden. Ohne die Konfessionslosigkeit der Beteiligten zu mißachten, gilt es, auf die offenen Türen der Kirche hinzuweisen und so die Einladung des Evangeliums mit konkreten, über die Veranstaltung hinausreichenden Angeboten zu verbinden.
Auch das Schweizer Modell, bei dem man konfirmiert werden kann ohne getauft zu sein, ist bedenkenswert, einige Überlegungen dazu habe ich hier schon einmal formuliert. Auf jeden Fall können wir hier viel von den östlichen Landeskirchen lernen. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie die Diskussion und die historische Entwicklung weitergehen wird beim Thema religiöse Jugendfeiern in kirchlicher Verantwortung. Ein herzliches Dankeschön für eine gut organisierte, inspirierende Tagung mit vielen wertvollen Impulsen nach Halle!
P. S. Übrigens habe ich alle Beiträge des Tages als Audio aufgenommen. Wer Interesse hat, melde sich …
Linktipps
Evangelische Sekundarschule Haldensleben. Vgl. den Pressebericht in der Volksstimme vom 4.7.2014: http://www.ev-sekundarschule.de/aktuell/presse/vs-2014-15.jpg
Weitere Berichte im Pressearchiv http://www.ev-sekundarschule.de/aktuell/presse/archiv.php
Linkempfehlungen
mit Dank an Schuldekan Ulrich Ruck
http://www.offene-kirche-halle.de/front_content.php?idcat=1014
http://www.bistum-magdeburg.de/front_content.php?idcat=1570
http://de.m.wikipedia.org/wiki/Lebenswende
http://www.mdr.de/mdr-figaro/kirche/glaubensfragen212.html
http://www.mdr.de/kultur/religion-leben/rituale102.html
https://de-de.facebook.com/HalleSpektrum/posts/472117939585030
Videos
Hier einige empfehlenswerte Videos:
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Segensfeier Haldensleben 2014
Einladung zur Tagung mit Einblicken in eine religiöse Jugendfeier
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