Von Mittwoch bis Freitag war ich im Augustinerkloster Erfurt zu einer spannenden internationalen Tagung zur Konfirmandenarbeit (sieher hier den Tagungsflyer ). In Plenumsvorträgen und Workshops wurden Ergebnisse aus verschiedenen Ländern vorgestellt und kommentiert und Perspektiven für die Zukunft erörtert. Die Ergebnisse der Studien liegen inzwischen auch gedruckt vor, zwei neue Bände der Reihe “Konfirmandenarbeit erforschen und gestalten” wurden druckfrisch präsentiert, einerseits Band 9 “Konfirmandenarbeit im freikirchlichen Kontext
Der Kirchliche Unterricht in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland. Ergebnisse der bundesweiten Studie 2012-2016” von Tobias Beißwenger und Achim Härtner, andererseits Band 10 “Confirmation, Faith, and Volunteerism. A Longitudinal Study on Protestant Adolescents in the Transition towards Adulthood. European Perspectives, hg. Wolfgang Ilg, Friedrich Schweitzer, Peter Schreiner.
Insgesamt haben die beiden bundesweiten Studien genauso wie die internationalen Studien der Konfirmandenarbeit bestätigt, auf einem guten Weg zu sein. Es gibt eine hohe Zufriedenheit mit der Konfirmandenzeit, im Durchschnitt sind in Europa 76% zufrieden mit dem, was sie erlebt und gelernt haben. Allerdings ist auch deutlich, dass wir bei der Lebensrelevanz des Gelernten noch deutlich zulegen müssen. Dass Gottesdienste ein neuralgischer Punkt sind weiß jede Gemeindepfarrerin, die Studien haben eindrücklich belegt, dass sich die Lust auf Gottesdienste nicht durch häufigeren Besuch steigern lassen, sondern nur durch mehr Beteiligung und jugendgemäßere Formen (siehe dazu Gottesdienst für Konfis als Zwang? – 10 Argumente gegen gedankenlose Zwangsverpflichtung).
Ohne alle Vorträge und Workshops referieren zu können und zu wollen, hier einige Impulse für Deutschland, die wir m. E. aufnehmen sollten und die bisher in der Debatte keine große Rolle spielen:
1. Großeltern einbeziehen
Katie Niemelä berichtete von ihren Längsschnittstudien aus Finnland. Dort zeigte sich, dass Großeltern einen wesentlich größeren Einfluss auf das religiöse Selbstverständnis ihrer Enkel haben als bisher angenommen. Mir sind kaum Unterrichtsbausteine und Konzepte bekannt, die den Einfluss von Großeltern berücksichtigen. Wie wäre es, Großeltern-Abende zu versuchen oder Konfi-Samstage, bei denen Großeltern und Konfis gemeinsam etwas erleben und über Glaubensfragen ins Gespräch kommen. Da man nur zwei Eltern, aber vier Großeltern hat, müsste es doch möglich sein, für fast jeden Konfi einen Gesprächspartner zu finden. Ähnlich wie es Aufgaben gibt, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, z. B. über den eigenen Taufspruch, könnte man auch Aufgaben stellen, die nur zusammen mit Großeltern oder Großonkeln und -tanten zu erledigen sind.
2. Konfi-Arbeit als Beitrag zur Demokratieerziehung
Wibke Riekmann, Professorin für Theorie und Praxis in der Sozialpädagogik, warf von der wissenschaftlichen Erforschung der Jugendarbeit her einen Blick auf die Konfirmandenarbeit und bot eine schöne Übersicht, wie Jugendarbeit, Konfi-Arbeit und Schule sich unterscheiden. Während Konfi-Arbeit oft in der Mitte zwischen Schule und Jugendarbeit steht, z. B. was Freiwiligkeit angeht, fällt auf, dass das Thema Demokratie fast keine Rolle spielt. Hier scheint tatsächlich noch das alte Modell vorzuherrschen, dass der Pfarrer vorausgeht und die Konfirmand/innen wie Enten hinterherwatscheln. Natürlich gibt es ausgehandelte Kontrakte. Natürlich gibt es (hoffentlich so oft wie möglich) Mitbestimmung bei den Themen und Arbeitsformen. Aber anders als in der Schule, wo es Klassensprecher gibt und anders als in der Jugendarbeit, wo Gruppen sich idealerweise selbst organisieren und Gruppenleitungen wählen, wo es ein – leider selten gut funktionierendes – Modell von Jugendvertretung gibt und staatliche Gelder laut Gesetz (vgl. https://dejure.org/gesetze/SGB_VIII/11.html) nur fließen, wenn es Formen von Selbstbestimmung gibt, ist dieser Aspekt in der Konfirmandenarbeit bisher unterbelichtet. Warum führt man nicht – wie dies erst vor Kurzem auf dem Ulmer Konfi-Wiki Hans-Martin Lübking gefordert hat (siehe http://www.ejwue.de/arbeitsbereiche/proteens/konfis/konfi-wiki/ und den handgeschriebenen Vortrag hier) – Konfi-Gruppensprecher ein, die nicht nur gegenüber den Hauptamtlichen Anliegen vertreten, sondern auch vom Kirchengemeinderat gehört werden und besondere Aufgaben übertragen bekommen. Jesus wollte ein möglichst herrschaftsfreies Miteinander seiner Jünger. Das müssen wir leben und einüben.
Erfreulicherweise wurde in vielen Landeskirchen in den letzten Jahren das Wahlalter gesenkt, in Württemberg darf man wählen, sobald man 14 Jahre alt ist (http://www.kirchenrecht-wuerttemberg.de/document/17152/search/wahlberechtigt#s7020004). Das bietet – zumindest wenn die Wahlen in absehbarer Zeit anstehen – eine gute Gelegenheit, die demokratische Verfasstheit der Kirche zum Thema zu machen und sie auch praktisch einzuüben.
3. Einsatz von Videos
Spannend war der Bericht von Richard R. Osmer aus den USA. Dort wurde eine eigenständige Studie durchgeführt. Auffällig war, dass als Methode Videos viel häufiger genannt wurde als in Deutschland. Ohne dass dies thematisiert wurde, frage ich mich, ob es nicht auch in der Konfirmandenarbeit möglich wäre, Konzepte, die unter dem Stichwort “flipped classroom” bekannt sind (https://de.wikipedia.org/wiki/Umgedrehter_Unterricht) auf die Konfi-Arbeit zu übertragen. Bisher fehlen m. W. jedenfalls theologisch vertretbare, durchdachte und gut gemachte Videos, mit denen so etwas möglich wäre. Videos können zwar keinen guten gruppenpädagogischen Ansatz ersetzen, aber gerade für kleine Gruppen könnten sie eine gute Möglichkeit sein, über Themen ins Nachdenken zu kommen. Youtube-Videos gehören auf jeden Fall zum Alltag fast aller Jugendlicher. Natürlich müssten sie gut gemacht und vor allem auch witzig und ein wenig schräg sein.
Vielleicht schaffen wir es ja, im Rahmen der App für Konfis und Jugendliche, die mit Unterstützung der EKD spätestens 2018 fertig sein soll, so etwas zu etablieren.
4. Die Bedeutung von mehr als siebentägigen Camps
Jouko Porkka hielt den humorvollsten Beitrag der Tagung, in dem er abschließend die finnische Sauna-Theologie als Geheimrezept anpries. Dass Konfi-Camps extrem zur Nachhaltigkeit der Konfi-Arbeit beitragen, war auch vorher schon klar; das ist in Württemberg auch längst und sehr erfolgreich umgesetzt. Was aber neu war an den finnischen Zahlen, dass es ab 7 Übernachtungen noch einmal einen deutlichen Qualitätssprung gibt, was die Beziehungsqualität angeht, die Beschäftigung mit Glaubensfragen und das Erleben von christlicher Alltagsfrömmigkeit.
FAZIT
Die Tagung hat sich auf jeden Fall gelohnt, viele anregende Gesprächspartner waren unterwegs. EKD und EKM haben sich von ihrer besten Seite präsentiert. Die ALPIKA-Konfirmandenarbeit war gut vertreten und hat sich vor allem bei den Workshops vielfältig eingebracht. Ich bin gespannt, ob und wie die verschiedenen Impulse Kreise ziehen werden.
Nachtrag
Matthias Hempel hat seinen Bericht von der Tagung hier gebloggt: http://www.kajak-oldenburg.de/confirmation-faith-and-volunteerism/2017/05/
Die Vorträge und Workshop-Materialien, die von den Referent/innen freigegeben wurden, können inzwischen hier nachgelesen werden: http://www.ev-theologie.uni-tuebingen.de/lehrstuehle-und-institute/praktische-theologie/praktische-theologie-ii/projekte/konfirmandenarbeit-in-europa/confirmation-research-in-europe-the-international-study.html
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