Monika und Udo Tworuschka, Der Islam – Feind oder Freund? 38 Thesen gegen eine Hysterie, Kreuz Verlag Freiburg im Breisgau 2019, 144 Seiten, 15 Euro, als E-Book 11,99 vgl. https://www.herder.de/religion-spiritualitaet-shop/der-islam-%e2%80%93-feind-oder-freund-kartonierte-ausgabe/c-38/p-15209/

Der Diskurs über bestimmte Themen hat sich in Zeiten des Rechtspopulismus und allgegenwärtiger sozialer Medien merkwürdig erhitzt und verschoben. Zu diesen Themen gehört neben Flucht und Einwanderung auch das Thema Religion. Besonders der Islam und die Muslime dienen manchem als Feindbild. In Zeiten, in denen die Kirche Mitglieder verliert und der christliche Glaube scheinbar an Überzeugungskraft, nimmt die Angst vor religiöser Überfremdung zu.

Vor diesem Hintergrund ist es dem Autoren-Ehepaar Monika und Udo Tworuschka ein großes Anliegen, die Behauptungen der Populisten einer kritischen sachlichen Überprüfung zu unterziehen und Argumente für die Auseinandersetzung zu liefern. 38 Thesen stellen sie ihnen entgegen, die jeweils ausführlich erläutert werden. Entstanden ist ein gut lesbares Büchlein, das tatsächlich hilft, auf immer wieder vorgebrachte Behauptungen gute Antworten zu finden.

Übrigens habe ich Jena mal ein Semester bei Udo Tworuschka eine Vorlesung gehört, die mir sehr gut gefallen hat. Persönlich näher kennen gelernt haben wir uns damals aber nicht.

Buchbesprechung

Deutlich wird zu Anfang des Buchs betont, dass die Autoren eine Hermeneutik des Vertrauens bevorzugen ohne auf kritische Anmerkungen zu verzichten. Ziel scheint es insgesamt – wie das Cover sehr gelungen andeutet – von einer Schwarzmalerei des Islam wegzukommen und eine differenzierte Wahrnehmung anzuregen, die den wertvollen Beitrag des Islam zur Kultur in Europa heraushebt.

Im ersten Teil wird die einseitige, verschwörungstheoretisch grundierte Wahrnehmung des Islam kritisiert, die aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig kommt und deshalb besonders verbreitet ist: “So haben sich Vertreter einer säkularen Religionskritik, konservative Verteidiger des christlichen Abendlandes, Rechtspopulisten und Rechtsextreme sowie Feministinnen zu einer bizarren und schrillen Mesalliance vereint.” (S. 23) Es wird deutlich betont, dass kulturelle Unterschiede von Menschen mit Migrationshintergrund nicht gleichzusetzen sind mit religiösen. Das Islambild der Medien sei inszeniert und konstruiert (S. 28) und stark vereinfacht, oft werde der vielfältige und facettenreiche Islam mit Islamismus und Terrorismus in Verbindung gebracht. Dadurch hätten ARD und ZDF, auch mit zahlreichen Talkshows dazu beigetragen, ein negatives Islambild zu verfestigen.

Völlig zu recht kritisch gesehen wird der Heimatbegriff der Neuen Rechten (S. 38ff), der von einer biologischen Abstammungsgemeinschaft und einem angestammten Gebiet innerhalb fester Grenzen ausgeht, was historisch eine Fiktion ist. Alle Menschen sind eingewandert. Praktisch überall. Deshalb gilt: “Heimat kann auch neu gewonnen werden; denn der Heimatbegriff schließt die Möglichkeit zur Beheimatung ein.” (S. 40)

Besonders gut gefallen hat mir These 9 mit ihren Ausführungen: “‘Korankenner’ spielen gern ‘Surenpingpong'”. Wozu das führt sieht man leicht bei diesem weiter hinten angeführten Experiment, wo einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene biblische Aussagen in einer Fußgängerzone als Aussagen des Koran präsentiert wurden. Sehenswert und nachdenklich machend und auf Youtube verfügbar:

Ab dem zweiten Teil wird die Thesenreihe deutlich weniger polemisch und lässt sich von daher auch gut als pointierte Einführung in die Islamkunde lesen. Interessant fand ich die kritischen Bemerkungen zur oft zu hörenden Redeweise von “jüdisch-christlicher” Tradition, die den Islam bewusst ausgrenzt und verschleiert, dass das Judentum über lange Jahrhunderte in Europa mindestens so stark ausgegrenzt wurde wie heute von manchen der Islam (These 14). Denn auch der Islam hat Europa vielfältig kulturell bereichert und die Wissenschaften vorangebracht (These 15), z. B. durch den experimentellen Ansatz, weil im Koran immer wieder dazu aufgefordert wird, die als Zeichen Gottes geltende Natur zu beobachten (S. 60).

Der dritte und vierte Teil geht sachkundig und differenziert auf bekannte Themen wie Scharia, Ehrenmorde, die Stellung der Frau im Islam und Antisemitismus ein, der weniger religiös und aus dem Koran begründet ist als aus dem Nahostkonflikt. Gut gefallen haben mir die Argumente, den Begriff “Parallelgesellschaft” nicht zu verwenden, weil er sachlich nicht zutrifft (These 34) und die meisten muslimisch geprägten Zuwanderer ein hohes Interesse haben, an der Kultur und Bildung in Deutschland teilzuhaben.

Deutlich werden die Chancen betont und die Bereicherung, die der Islam für die Einwanderungsgesellschaft Deutschland bedeutet. Dies gelte zum Beispiel für die soziale Einstellung: “Der Islam besticht insbesondere durch seine große Sozialverantwortung: Islamische Werte wie Brüderlichkeit, Solidarität, Respekt gegenüber älteren und kranken Menschen bereichern unsere teilweise recht ‘kalte’ Gesellschaft. (S. 113)

Aufgefallen ist mir, dass Michael Blumes Buch “Islam in der Krise” (vgl. meine Rezension) nur an einer Stelle in einer Fußnote aufgegriffen wird, wo es um den stillen Rückzug vieler Muslime in Deutschland von ihrer Religion geht, und die These von den Auswirkungen des lange geltenden Verbot des Buchdrucks nicht erwähnt wird. Der Islam, den die Autoren vorstellen, wirkt dadurch deutlich bildungsnäher.

Fazit

Das Buch ist eine wunderbare und sachlich absolut fundierte Argumentationshilfe für alle, die mit religiöser Bildung zu tun haben oder direkt mit populistischen Argumenten konfrontiert werden. Die vielen weiterführenden Fußnoten, Literaturhinweise und sogar ein Sach- und Personenregister untermauern den wissenschaftlichen Anspruch dieser Thesenreihe. Für den Oberstufenunterricht in Religion, Ethik oder Gemeinschaftskunde ist es in Auszügen oder für ein Referat auf jeden Fall empfehlenswert, auch wenn man dann manchmal ein Fremdwörterlexikon brauchen wird.

Die 38 Thesen

findet man als Inhaltsverzeichnis online: https://d-nb.info/1172534853/04

Links

Transparenzhinweis

Das Buch wurde mir vom Verlag  unentgeltlich zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Bitte um Besprechung in meinem Blog wurde vom Autor an mich herangetragen.

Welche Bücher zum Thema sind ähnlich empfehlenswert? Was meint ihr zu den Thesen des Autorenduos? Wie immer freue ich mich über weiterführende Kommentare, die man unten eingeben kann.

Rezension “Islam. Freund oder Feind?”
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