Vergangene Woche war ich zwei volle Tage bei einer Bibliolog-Fortbildung. Natürlich habe ich schon einige Bibliologe miterlebt. Einen sogar in meiner Hochdorfer Gemeinde selbst veranstaltet mit meinem früheren Zimmerkollegen und heutigen Landesjugendpfarrer Bernd Wildermuth (hier der Zeitungsbericht dazu). Aber es blieb doch immer eine Skepsis in mir: Als Pädagoge versuchte man mir und versuche ich anderen das Lehrerecho abzutraineren. Es entwerte die Aussage des Schülers, nur was aus dem Mund des Lehrers kommt schein wichtig zu sein. Das ist kein guter Unterricht.
Und plötzlich ist das ein wesentliches Element des Bibliologs. Die Herkunft war mir aus der Seelsorgeausbildung klar: Spiegeln (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelung_(Psychologie)) mussten auch wir noch lernen, die Aussagen und Gefühle des andern so wiedergeben, dass er sich darin erkennt und aus der Distanz etwas über sich lernen kann, zu neuen Erkenntnissen kommt. Aber das pure Spiegeln ist in der Seelsorge längst überholt, heute gibt es einen bunten Mix aus systemischen und Ressourcen-orientierten Ansätzen und im seelsorglichen Kurzgespräch nach Timm Lohse sind sogar Ratschläge nicht per se als Schläge zu diffamieren (falls ich das richtig verstanden und mir gemerkt habe).
Skeptisch war ich also zu Beginn, habe aber doch aus so vielen Ecken Positives über den Bibliolog mit verschiedensten Zielgruppen gehört, dass ich der Sache jetzt einmal selbst auf den Grund gehen musste. Noch immer erlebe ich bei den ganzen Bibliologen, die wir von unseren Trainern erlebt haben und selbst jetzt langsam durchführen, dass man gelegentlich stutzt und denkt: Hoffentlich fühlt sich der Sprecher nicht falsch wiedergegeben. Aber eine positive Erfahrung von mir war: Eigentlich egal wer mich bibliologisch wiederholt hat, mir selbst kam das nie übergriffig vor, oft hatte ich sogar den Eindruck, dass es auch mir zum besseren Verständnis half. Klar hat das etwas Künstliches, das in Alltagsdialogen so nicht vorkommt. Aber Bibliolog ist ja auch tatsächlich eine Kunstform, eine Art verlangsamtes kollektives Rollenspiel, das die Tiefendimension biblischer Text aufleuchten lässt.
Schwarzes auf weißem Feuer
Dahinter steckt nämlich eine schöne Grundidee: Biblische Texte kann man in Anlehnung an eine Formulierung aus dem Talmud verstehen als schwarzes Feuer auf weißem
Feuer (hier ein schöner Artikel dazu: http://freiburger-rundbrief.de/de/?item=1455). Wenn man sich klarmacht, wie hebräische Buchstaben aussehen, ist das ein durchaus nahe liegender Gedanke. Alles, was der Text nicht ausdrücklich sagt, lässt Raum für die Vorstellungskraft der Lesenden und Hörenden. Deshalb ist man so oft enttäuscht von einem Film zum Buch, das man gelesen hat: Da sieht alles anders aus als man es sich vorgestellt hat. Unser Gehirn hat die besondere Fähigkeit, Informationsfetzen zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzusetzen. Und jeder macht das auf seine Weise. Davon lebt der Bibliolog: dass wir lernen, die Bibel mit den Augen unserer Mitchristen zu sehen, dass wir unsere Vorstellungskraft einsetzen und die Geschichten so plastisch wie möglich ausmalen, damit sie anfangen, in unsere Lebenswelt hineinzusprechen.
Wie sieht so ein Bibliolog aus?
Hier als Beispiel eine Übung, die wir ausformulieren sollten zu Gen. 12,10-20, wo Abram seine Frau Sarai in Ägypten als seine Schwester ausgibt, um sich zu schützen, und sie dadurch in große Gefahr bringt. Wichtig: Einen Bibliolog sollte nur derjenige durchführen, der eine ordentliche Schulung durchlaufen hat. Sonst kann es auch grandios schiefgehen …
Prolog
Wie angekündigt machen wir heute miteinander einen Bibliolog. Das heißt: Wir versetzen uns in biblische Personen oder sogar Gegenstände hinein und leihen ihnen unsere Stimme. Wer etwas sagen will, gibt mir ein Zeichen, dann komme ich zu ihm. Die Aussage werde ich noch einmal wiederholen, damit wir alle gut darüber ins Nachdenken kommen. Manchmal frage ich sogar nach.
Beim Bibliolog gibt es zwei wichtige Regeln:
- Es gibt keine falschen Aussagen. Was jemand denkt oder empfindet ist für ihn und damit für uns alle völlig in Ordnung.
- Keiner muss, jeder darf. Es ist schön, wenn viele sich beteiligen, aber man darf auch als stiller Beobachter mitreisen und sich seine Gedanken machen.
Hinführung
Wir machen jetzt miteinander eine Zeitreise in die Zeit der Erzväter und -mütter. Abraham nannte sich damals noch Abram. Er war gerade frisch verheiratet mit Sarai, einer Frau, die nicht nur er schön fand. Sie war so wunderschön, hatte so eine Ausstrahlung, dass sich kein Mann ihrer Wirkung entziehen konnte. Im Land Kanaan bricht eine Hungersnot aus, nur im fruchtbaren Ägypten gibt es noch Essen und damit die Chance zu überleben. Aber Ägypten, das hieß auch: andere Länder, Sitten und nicht zu vergessen: eine andere Sprache.
Die Rollen
- zu V. 13: Ihr seid, du bist Abram. Was geht dir durch den Kopf, was löst es bei dir aus, wenn du dir deine Frau Sarai unter den Ägyptern vorstellst?
- zu V. 17: Ihr seid, du bist Sarai. Wie geht es dir am Hof das Pharao, als dort nach deiner Ankunft plötzlich alles schief läuft?
- zu V. 20: Du bist einer der Begleiter. Wie reagierst du, als sich die ganze Geschichte unter euch herumspricht?
Epilog
Der Epilog entwickelt sich aus dem Verlauf des Bibliologs. Vermutlich wird das Thema Notlüge eine Rolle spielen, zu wenig Vertrauen auf Gott, dafür übertriebene Angst, die immer ein schlechter Ratgeber ist. Der Pharao verhält sich ja mustergültig, sobald er erfährt, dass Sarai verheiratet ist. Darüber hätte er sich ohne Probleme hinwegsetzen können, er tut es aber nicht. Beim Thema Liebe, Frauen und Männer passiert es leicht, dass wir uns ohne echte Not in Schwierigkeiten bringen. Zur Wahrheit zu stehen und ehrlich zu sein ist nicht immer leicht, aber es lohnt sich am Ende doch und erspart manchen Ärger.
Wer mehr wissen will
- http://www.bibliolog.de Homepage des Bibliolog-Netzwerks , angesiedelt im Studienzentrum Josefstal
- Die Bücher von Uta Pohl-Patalong (Grundformen http://d-nb.info/1042462232; Aufbauformen http://d-nb.info/1029060118)
Video
Hier sieht man Peter Pitzele, den Erfinder des Bibliologs, der in Amerika immer noch Bibliodrama heißt, bei einem spontanen Gespräch.
Eure Erfahrungen?
Welche Erfahrungen habt ihr bisher mit Bibliolog gemacht? Habt ihr selbst ausformulierte auf Lager, die z. B. mit Konfi-Gruppen gut geklappt haben? Freue mich wie immer über ein weiterführendes Gespräch in den Kommentaren.
Zum Schlußsatz, daß Bibliolog in Amerika “immer noch” Bibliodrama heißt: Der Begriff Bibliodrama ist in Amerika fest eingeführt und mit dem konnotiert, was wir in Deutschland heute “Bibliolog” nennen. Die Begriffsänderung für den deutschen Sprachraum war nötig, weil kein Mensch verstanden hat, was “Bibliodrama als Midrasch” meint. So hießen die ersten Kurse, die Pitzeles in Deutschland gehalten haben.
Das was wir in Deutschland “Bibliodrama” nennen, heißt in Amerika “bibliotherapy”.
Danke für den klärenden Hinweis!