Über ein vergessenes Katechismus-Hauptstück
Neulich habe ich zufällig mal wieder unseren Württembergischen Katechismus gelesen, hier die vollständige Fassung. Dabei ist mir aufgefallen, dass das sechste Hauptstück in der Praxis fast komplett unter den Tisch fällt. Taufe, Glaubensbekenntnis, Vaterunser, die zehn Gebot und das Abendmahl lassen sich gut an einer Hand abzählen und sind wohlbekannter Standardstoff, der heute natürlich jugendgemäß erschlossen werden muss.
Aber woran liegt es, dass – Hand auf Herz – keiner das sechste Hauptstück kennt? Vermutlich daran, dass es keinen Memorierstoff zu diesem Hauptstück gibt und bekanntlich wird ja nirgendwo in Deutschland so viel auswendig gelernt wie in Württemberg. Das verbreitet in der Regel schlechte Stimmung, dazu vielleicht ein andermal mehr.
Auf jeden Fall gilt laut württembergischer Konfirmationsordnung §7 Abs. 2:
Der Konfirmandenunterricht, der anhand der Rahmenordnung für die Konfirmandenarbeit gehalten wird, schafft von der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen Zugänge zu den Hauptstücken des Katechismus. Sie sind verbindlicher Unterrichtsgegenstand.
Früher war das sechste Hauptstück tatsächlich noch in den Konfirmanden-Materialien enthalten. Martin Hinderer hat mir auf Nachfrage versichert, dass es bei der Ausarbeitung der neuen Konfirmationsordnung tatsächlich einmal mal Thema war.
Wie lautet es denn?
6). Das sechste Hauptstück: Die Schlüssel des Himmelreichs
Welches sind die Schlüssel des Himmelreichs?
Das Predigtamt des Evangeliums von Jesus Christus.
Zeugnis der Heiligen Schrift
Jesus Christus spricht: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat. Lukas 10,16
Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein. Matthäus 16,19
Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Johannes 20,21–23
Schon das Beitragsbild zeigt deutlich, welchen Hintergrund dieses sechste Hauptstück hat: Es geht um das Petrusamt, traditionell wird in der römisch-katholischen Kirche ja Petrus und seinem Nachfolger auf dem Stuhl des Petrus und indirekt allen geweihten Priestern im Rahmen der Beichte dieses Vorrecht zugesprochen, Menschen den Himmel aufzuschließen. Es geht also um Konfessionspolemik, um die gut reformatorische Behauptung, dass das verkündigte Evangelium selbst, das Glauben auslöst, den Himmel aufschließt und nicht ein anderer Mensch, der qua Weihe in einem besonderen Verhältnis zu Gott steht.
Ich bin überzeugt, dass das sechste Hauptstück nicht überholt ist, dass wir es sachlich auch heute noch brauchen. Allerdings nicht mehr in der Frage, wie sich die Konfessionen zueinander verhalten. Da habe ich erlebt und bin überzeugt davon, dass es einen ökumenischen Geist gibt, der kleinliche Polemik überflüssig macht. Die neue Frage, die sich auch für die Konfirmandenarbeit stellt und stellen sollte, heißt: interreligiöser Dialog, Austausch und sicher manchmal auch Auseinandersetzung um die Frage, welcher Blick auf den Himmel sachgemäß ist, ob das nur verschiedene Perspektiven auf die gleichen Phänomene sind, oder ob wir doch von verschiedenen zugrunde liegenden Wirklichkeiten ausgehen.
Konfirmanden interessieren sich mehr für andere Religionen im Konfi als die Pfarrerschaft, das hat die Tübinger KA-Studie deutlich gezeigt und meine Fortbildungs-Erfahrung bestätigt es. Im Konfi geht es ja um die Frage, was ich glaube, auch im Sinne eines persönlichen Standpunktes. Da ist es meiner Meinung nach mehr als angebracht, auch muslimischen Jugendlichen und Andersgläubigen zu begegnen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich habe zu diesem Thema unter der Überschrift “Andere glauben anders – (k)ein Grund, sich zu streiten?” (in den neuen anKnüpfen Praxisideen enthalten) einen Baustein entwickelt und mit meinen Konfirmanden ausprobiert und gute Erfahrungen u.a. bei einem Moscheebesuch mit Konfis gemacht. Begegnungslernen ist die richtige Form für dieses Thema und trägt dazu bei, dass Vorurteile ausgeräumt werden und Verständnis füreinander entsteht. Gleichzeitig sind Konfirmand_innen dabei gezwungen, sich Gedanken zu machen, was sie wirklich glauben, die z. T. deutlich über das Ja bei der Konfirmation hinausgehen.
Fazit: Ich plädiere dafür, andere Religionen mit in das Konfi-Standardprogramm hineinzunehmen, denn das ist im sechsten Hauptstück des Katechismus enthalten! Da muss man nichts Neues erfinden, denn schon immer gehörte die Frage, wer mir die Tür zum Himmel aufschließt, zu den zentralen Fragen des Glaubens.