Zuerst veröffentlicht in KU Praxis 61 (Schwerpunkt Reformation)
Der Ruf des Katechismus in der Konfi-Arbeit ist ziemlich ramponiert. Die in ganz Deutschland vollzogene Reform der Konfirmandenarbeit sah es zu Recht als ihre Aufgabe, den Konfirmandenunterricht zu öffnen und wegzukommen von einem mehr oder weniger stupiden Auswendiglernen des Katechismus. Der Pfarrer als Pauker: Unterrichten im Besserwissermodus war leicht, man konnte seinen eigenen schwachen Glauben bestens hinter fremden und altmodischen Formulierungen verstecken, die umständlich zu erklären waren. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei!
Bei der Konfirmation oder auch davor wird – zumindest in Württemberg – zwar heute immer noch der Katechismus abgefragt und aufgesagt, freilich oft in eigenen Formulierungen aus Konfi-Mund und von der Stoffmenge her stark reduziert. Von älteren Gemeindegliedern kenne ich Erzählungen von der Angst, wenn der Pfarrer bei der Konfirmation auf einen zeigt, eine der vielen Fragen stellt und die Antwort dann im Hals stecken bleibt.
Dabei ist der Katechismus grundsätzlich eine geniale Idee: Weil Luther bei seinen Visitationsbesuchen in Gemeinden sowohl bei den Pfarrern als auch bei den Gemeindegliedern eine erschreckende Ahnungslosigkeit über die Grundlagen des christlichen Glaubens feststellte – konkret nennt er Vater unser, Glaubensbekenntnis, zehn Gebote – versuchte er in einfachen Worten Musterantworten zu formulieren. Luther verstand diesen Katechismus als „Auszug aus der ganzen Bibel“ – Elementarisierung würde man heute dazu sagen. Die Formulierungen waren für alle gedacht, die es selbst nicht besser hinbekommen würden.[1] Entsprechend der Didaktik der damaligen Zeit empfahl Luther, diese Antworten zu memorieren, allerdings erst wenn Glaubensbekenntnis, Vater unser und zehn Gebote sicher beherrscht werden.[2] Schließlich sollte jeder gläubige evangelische Christ Auskunft über seinen Glauben geben können und sich nicht hinter seinem Priester und seiner Kirche verstecken. Die Verantwortung für das Lehren des Katechismus wurde den Hausvätern und Pfarrern übertragen. Der kleine wie der für Theologen gedachte große Katechismus wurde schließlich zur lutherischen Bekenntnisschrift und damit Teil der Kirchenordnung, auf die bis heute Pfarrer/innen und kirchliche Mitarbeiter in lutherischen Kirchen verpflichtet werden.
Jede/r Konfi-Macher/in ein/e Katechismus-Macher/in
Schon Schleiermacher hat sich Anfang des 19. Jahrhunderts gegen diese „Dogmatisierung“ des Katechismus und gegen ein verknöchertes Katechismusverständnis gewandt: „So sieht man wie die Aufgabe kann erschwert werden, indem ein großer Theil der kurzen Zeit verwendet werden muß, um es [das Lehrbuch] der Jugend zugänglich zu machen. Je allgemeiner der Katechismus ist, desto schädlicher ist er; je specieller, desto nüzlicher, und der speciellste ist der, welchen sich der Geistliche selbst macht, und der allerspeciellste der den er sich jedesmal selbst macht.“[3]
Jeder, der lehrt, braucht ein klares inneres Bild von dem was gelehrt werden soll. Die nicht-defizitären Ansätze der Konfirmandenarbeit, die das ins Spiel bringen, was Konfis mitbringen und selbst an Vorstellungen vom Glauben und an Praxis des Glaubens haben, sind wichtig, aber sie reichen nicht aus. Denn Konfirmandenunterricht hat auch einen klaren Lehrauftrag: Jugendliche sollen eingeführt werden in den Glauben, wie er in der evangelischen Kirche verstanden und gelebt wird. Die Betonung der fides qua, des exististentiellen Grundvertrauens auf Gott, hat im Konfirmandenalter ihr gutes Recht, aber sie bleibt hohl und flach ohne die fides quae, die Glaubensinhalte, die Anschluss geben an die Glaubenstraditionen, wie sie uns durch die Bibel und über die Jahrhunderte hinweg überliefert sind.
Wie wäre es deshalb, sich einfach allein oder zusammen mit allen Mitarbeitenden hinzusetzen und einen eigenen Konfi-Katechismus zu formulieren, vielleicht sogar in Form eines Konfi-Wiki? Subjektiv ehrlich, aber anschlussfähig für andere. Orthodox, aber mit persönlicher Note. Elementar, aber nicht banal. Mit erkennbaren Diskussionen und Abweichungen, aber mit gemeinsamer Linie. Das wäre der beste Katechismus, den es in der Konfirmandenarbeit geben kann.
Was schön ist: Wie zu Luthers Zeiten scheint der Bildungsnotstand in Glaubensdingen, der heute eine neue Alphabetisierung notwendig macht, ein guter Nährborden für die Produktion von Katechismen zu sein. Ausgerechnet die katholische Kirche ist mit ihrem amtlich abgesegneten Youcat (https://www.youcat.org/de/) 2011 beispielhaft vorangegangen. Mit dem Yoube liegt seit 2015 ein evangelisches Pendant vor – theologisch eher pietistisch-evangelikal geprägt, aber durchaus nicht einseitig und vor allem wirklich jugendgerecht gestaltet (http://meinyoube.net).
Jeder Konfi als Autor seines Credos
Konfirmation hat mit Mündigkeit zu tun, deshalb ist es ein guter Brauch, dass Konfis – in aller übrigens im Lauf des Lebens übrigens nie endender Vorläufigkeit – ihr Credo schreiben. Und dafür brauchen sie Formulierungshilfen, fremde Worte, die sie zu eigenen machen können. Im Glauben fängt keiner bei Null an. Nach meinem Eindruck ist die Zeit gekommen, in der wir nicht weniger, sondern mehr Katechismus brauchen als elementarisierte Theologie für Jugendliche. Mehr gute Vorschläge dafür, wie vom Glauben im 21. Jahrhundert sinnvoll geredet werden kann, mehr Anregung zum qualifizierten Theologisieren mit Konfis.[4] Dann wird aus dem Folterwerkzeug mit altertümlicher Sprache ein hermeneutischer Schlüssel für den größten Schatz, den wir als Christen haben: den Glauben.
Weiterführende Literatur
- Augustinus, De catechizandi rudibus (dt. Vom ersten katechetischen Unterricht)
- Beier, Peter u. a., Denk mal nach … mit Luther. Der kleine Katechismus – heute gesagt, Gütersloh 1989; Ulrike Baumann, Christian Witting, KU zu den 5 Hauptstücken des Kleinen Katechismus. Ein Arbeitsbuch zu “Denk mal nach … mit Luther”, Gütersloh 1997
- Dennerlein, Norbert u. a. (Hg.), Die Gegenwartsbedeutung der Katechismen Martin Luthers, Gütersloh 2005
- Dennerlein, Norbert und Ingrid Wiedenroth-Gabler, Luthers Kleiner Katechismus – für Leute von heute, Gütersloh 2007
- Dennerlein, Norbert, Klaus Grünwaldt, Martin Rothgangel (Hg.), Die Gegenwartsbedeutung der Katechismen Martin Luthers, Gütersloh 2005
- Dinkel, Christoph, Gedächtnis des Glaubens. Überlegungen zum Auswendiglernen im Religions- und Konfirmandenunterricht, in EvTh 62 (2002), 430-445.
- Evangelischer Erwachsenenkatechismus, Gütersloh 2010; Kleiner Evangelischer Erwachsenenkatechismus, Gütersloh 2015
- Härle, Wilfried, Der Katechismus als Wegbeschreibung, in: Johannes von Lüpke u. a. (Hg.) Denkraum Katechismus. Festgabe für Oswald Bayer zum 70. Geburtstag, Tübingen 2009
- Hauser, Uwe, Ganz bei Trost. Eine Besichtigung des Heidelberger Katechismus, Religionspädagogisches Institut Baden, Karlsruhe 2011
- Hinderer, Martin, Bernd Wildermuth, Thomas Ebinger, Anknüpfen – meine Konfirmation, Stuttgart 22013
- Klenk, Dominik, Roland Werner, Bernd Wannenwetsch, Yoube. Evangelischer Jugendkatechismus, Basel 2015
- Peters, Albrecht, Kommentar zu Luthers Katechismen (5 Bände), Göttingen 1990-1994
- Schoberth, Ingrid, Religionsunterricht mit Luthers Katechismus, Göttingen 2006
- Theißen, Gerd, Glaubenssätze. Ein kritischer Katechismus, Gütersloh 2012
- Youcat deutsch. Jugendkatechismus der Katholischen Kirche, Aschau 122015
Anmerkungen
[1] Vorrede zum kleinen Katechismus, BSLK 502.
[2] BSLK 502 und 504
[3] F. D. E. Schleiermacher, Praktische Theologie (Hg. Frerichs), 373.
[4] Katechismus meinte ursprünglich weniger ein Buch oder einen fertigen Text, sondern den mündlichen Vortrag und die gemeinsame Erarbeitung des Unterrichtsstoffs. Von daher hat der Begriff eine viel größere Nähe zum Theologisieren, wie es heute verstanden wird, als man zunächst denkt.
Pingback:Rezension “Worauf es ankommt. Ein Katechismus” – Ebiblog