Handbuch Kirchliche Jugendarbeit. Für Studium und Praxis, Angela Kaupp und Patrik C. Höring  (Hg.), 592 Seiten, 45 Euro, als E-Book (PDF) 40 Euro. Vgl. 

https://www.herder.de/theologie-pastoral-shop/handbuch-kirchliche-jugendarbeit-kartonierte-ausgabe/c-37/p-14628/

Handbücher sind eine feine Sache: Im Idealfall bekommt man damit einen guten und aktuellen Überblick über das jeweilige Fachgebiet, verfasst von denjenigen Autor/innen, die sich jeweils am besten auskennen. Durch die Mit-Herausgabe des Handbuchs Konfi-Arbeit (hier ein schönes Bild der 5 Herausgeber: https://konfi-arbeit.de/2018/11/handbuch-konfi-arbeit-ein-gemeinschaftswerk/) weiß ich inzwischen, wie viel gedankliche, konzeptionelle und redaktionelle Arbeit hinter einem solchen Handbuch steckt, wie viele Mails hin und hergehen, bis im Artikel das drin steht, was in die Zeichenvorgabe passt und den Herausgebenden als wichtig erscheint. Klar, es gibt Leute, die liefern inhaltlich und von der Zeichenzahl her auf den Punkt ab, aber das ist doch eher die Ausnahme.

Durch das Handbuch Konfi-Arbeit habe ich Prof. Angela Kaupp kennen gelernt und immer wieder inspirierende Gespräche mit ihr gehabt (https://www.uni-koblenz-landau.de/de/koblenz/fb2/kaththeol/kath-theol_institut/kath-theol_institut_praktheol/kath-theol_institut_praktheol_pers/angelakaupp ; https://de.wikipedia.org/wiki/Angela_Kaupp). Sie ist nicht nur längst eine renommierte Wissenschaftlerin mit zahlreichen, thematisch breit gefächerten Veröffentlichungen, sondern hat auch bemerkenswert umfangreiche praktische Erfahrung in der Religionspädagogik – etwas, das man leider nur von wenigen sog. “Praktischen” Theolog/innen behaupten kann. Schon im Studium habe ich immer gedacht, dass Praktische Theologie eher als Geschichte und Theorie der Praktischen Theologie gelehrt wird denn als das Fach selbst. Das ändert sich seit der empirischen Wende nur langsam, aber immerhin und hinkt den Erfahrungen der Praktiker auf jeden Fall meist deutlich hinterher.

Ich habe das Buch aus evangelischer Perspektive gelesen, als jemand, der sehr gut mit den verschiedenen Formen und inhaltlichen Diskussionen vertraut ist. Natürlich kenne ich das evangelische Pendant, das “Handbuch Jugend. Evangelische Perspektiven” (2013), das wir für anKnüpfen hier rezensiert haben: https://www.anknuepfen.de/materialien/buchempfehlungen/handbuch-jugend.html. Übrigens ist es schade, dass es noch kein konfessionsübergreifendes Handbuch gibt. Viele der Artikel doppeln sich thematisch und der Austausch zwischen den Kirchen wäre sicher befruchtend. Aber noch immer läuft da vieles nebeneinander her, was eigentlich zusammengehört.

Zum Inhalt

In insgesamt 48 Artikeln von 48 verschiedenen Autor/innen wird ein buntes Kaleidoskop katholischer Jugendarbeit vorgestellt. Dabei ist zunächst einmal der Titel des Werks begründungspflichtig, schließlich gibt es den schönen innerkatholisch häufig zu hörenden Begriff “Jugendpastoral”, während “Jugendarbeit”, heute präziser “Kinder- und Jugendarbeit” sich am Sprachgebrauch von SGB VIII (§ 11) orientiert und damit an der staatlichen Unterstützung (S. 22). Der Artikel von Patric C. Höring klingt eigentlich eher so, als hätte man das Werk “Handbuch Kirchliche Jugendpastoral” nennen müssen, denn Jugendpastoral umfasst auch eher diakonisch-seelsorgerlich orientierte, lebensbegleitende Angebote, die ja für die Jugendarbeit typisch sind. Außerdem wird das Feld damit der Fachdisziplin der Pastoraltheologie zugeordnet, was dann aber dazu führt, dass es “oft zwischen den Stühlen der Pastoraltheologie und der Religionspädagogik sitzt” (S. 21).

Der empirische Stand der katholischen Jugendarbeit ist offensichtlich schlechter erfasst als der evangelische, es liegen vor allem die offiziellen Kirchenstatistiken und Mitgliedszahlen, auch von Verbänden, vor, die aber nicht sehr in die Tiefe gehen. “Die Einblicke in die Kirchenstatistik sowie die amtliche Statistik haben gezeigt, dass zurzeit keine umfassenden bundesweiten empirischen Daten zur Jugendpastoral bzw. katholischen Kinder- und Jugendarbeit vorliegen.” (S. 33). Dem kann man durchaus abhelfen wie evangelische Projekte nicht nur aus Baden-Württemberg zeigen (vgl. http://www.statistik-ev-bw.de/).

Spannend zu lesen ist, wie sich die katholische Jugendarbeit in der Nachkriegszeit entwickelt hat und welche lehramtlichen Impulse diskutiert und umgesetzt wurden. Fachlich auf dem neuesten Stand sind Artiekl über die Entwicklungspsychologie im Jugendalter und soziologische Betrachtungen über junge Erwachsene in der “Rushhour des Lebens”. Typisch für diese heute extrem verlängerte Adoleszenzphase ist eine “balancierende Identität”, die scheinbar zur lebenslangen Aufgabe wird und ein Lebens-Planungsparadox: “Junge Erwachsene müssen sich immer besser vorbereiten, ohne dass es eine Erfolgsgarantie dafür gibt.” (S. 134). Dazu gehört auch das Phänomen “Hotel Mama” (S. 136).

Genau diese Beobachtungen mache ich hier in Ostfildern-Kemnat. Man bleibt – sicher auch wegen der guten räumlichen Lage bei Stuttgart mit vielen Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten – viel länger als früher am Heimatort. Mir scheint, dass die Jugendarbeit noch kaum tragfähige Konzepte entwickelt hat, die sich an diese Zielgruppe richtet. Bisher gibt es fast nur Studierendengemeinden, die voraussetzen, dass man den Heimatort verlässt. Immerhin hat das Stuttgarter Jugendwerk jetzt erste zaghafte Schritte begonnen mit der Gründung eines Referats für Jugendkultur (https://ejus-online.de/2019/02/das-referat-fuer-jugendkultur/).  Wer hier weitere Ideen und Projekte kennt: Ich wäre sehr interessiert daran!

Mein besonderer Lesetipp ist der Artikel “Jugend und Sexualität” von Stefan Gärtner. Er stellt sehr erhellend die Spannung zwischen  einer traditionellen, eher restriktiven katholischen Sexualmoral und heutiger Lebenswirklichkeit dar und weist einen guten Weg, wie man begehbare Brücken bauen kann. Denn es gibt – so ein Zitat von Klaus Arntz auf S. 62 – “markante inhaltliche Übereinstimmungen zwischen den zentralen Leitlinien der kirchlichen Ehelehre und den Wertorientierungen der jungen Generation. Das Paradigma vom fruchtbaren Liebesbund […] wäre durchaus in der Lage, die Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen, die junge Menschen heute an Freundschaft und Partnerschaft haben, zum Ausdruck zu bringen.” Später formuliert er selbst: “Es geht nicht um eine Aufhebung der Moral, sonder um die Anerkennung der Abstufungen, in der Menschen nach ihren jeweiligen Möglichkeiten und in Treue zu ihrem Gewissen Verantwortung für eine christliche Lebensführung übernehmen.” (S. 163).

Der Artikel zur geschlechterbezogenen Jugendarbeit von Eva- Maria Düring beschäftigt sich mit aktuell viel diskutierten Fragen wie der Frage, ob und wie Rollenbilder geprägt werden oder geprägt werden sollen, die am Geschlecht orientiert sind. In m. E. typisch katholischer, durch ausbleibende Reformen hervorgerufenen, schrillen Resignation (vgl. Maria 2.0) bringt sie dabei eine warnende Botschaft unter (S. 486): “Thematisiert, aber nicht vertieft werden soll an dieser Stelle, dass die kirchliche geschlechterbezogene Jugendarbeit vor der besonderen Herausforderung steht, dass ihre strukturelle Wirklichkeit von Machtverhältnissen geprägt ist, die das weibliche Geschlecht kategorisch von Ämtern ausschließt. Daraus resultierende strukturelle Ungleichheiten sind offensichtlich.”

Sehr hilfreich sind die aktuellen Übersichten über Orte, Handlungsfelder und Formate kirchlicher Jugendarbeit (S. 223ff). Besonders neidisch schauen evangelische Christen immer wieder auf die Ministrantenpastoral, der ein eigener Artikel gewidmet ist, weil hier eine enge Verbindung von gottesdienstlichem Leben und Jugendarbeit gelingt bzw. früher oft gelang, die lange nachwirkt auf das Gottesdienstverhalten der Gläubigen. Konfi 3 (vgl. https://konfi3.de) versucht hier evangelischerseits Impulse von Seiten der Erstkommunionvorbereitung aufzunehmen, auf die häufig der Ministrantendienst folgt, allerdings ist eine echte Ministrantenarbeit bei uns nicht möglich, weil es die Aufgaben, die in der Messe von Ministranten zu übernehmen sind, einfach nicht gibt. Schwieriger scheint es hingegen zu sein, Jugendgottesdienste als Teil der Jugendarbeit frei und jugendgerecht zu gestalten. Hier besteht das große Problem, dass Wortgottesdienste, die ohne Priester zu feiern sind, nach wie vor oft nur als minderwertige Form eines Gottesdienstes gelten. Zwischen Tradition und Gestaltungsfreiheit tut sich hier – das liest man aus dem Artikel von Patrik C. Höring ab S. 502 heraus – offensichtlich ein besonders tiefer Graben auf.

Viele weitere Artikel, etwas zu Inklusion oder interreligiösen Themen, (siehe das Inhaltsverzeichnis unter https://d-nb.info/1170494854/04)  machen das Handbuch zu einer großartigen Ressource, um sich schnell in einen spezifischen Themenbereich einzuarbeiten.

Schade finde ich, dass Ausführungen zur Prävention sexualisierter Gewalt fehlen. Angesichts der öffentlich gewordenen Fallzahlen von Priestern, die zu Missbrauchstätern wurden und der traurigen Aktualität des Themas in verschiedenen Kontexten, wäre das m. E. ein absolutes Muss gewesen. Prävention darf nicht erst beginnen, wenn etwas Schreckliches passiert ist, sondern muss heute mehr denn je ein Standard jeder fachlichen Beschäftigung mit Kinder- und Jugendarbeit sein! Vgl. dazu die Broschüre aus der Ev. Landeskirche in Württemberg, an der ich mitarbeiten durfte “Professionelle Nähe Distanz. Handlungsanweisungen zur Vermeidung von Grenzverletzungen, übergriffigem Verhalten und sexualisierter Gewalt im Alltag von Pfarrerinnen und Pfarrern”, Download: https://www.elk-wue.de/fileadmin/Downloads/Seelsorge/Sexualisierte_Gewalt/Praevention/2018_Web_OKR_Handreichung_Naehe-Distanz.pdf

Fazit

Das Handbuch Jugend ist ein absolut gelungener und mit Umsicht herausgegebener Versuch, das unübersichtliche Feld katholischer Jugendarbeit zu ordnen und Schneisen zu schlagen für alle, die Orientierung brauchen oder auf hohem Niveau mitreden wollen. Wünschenswert bleibt, dass es irgendwann einmal ein ökumenisches Handbuch kirchlicher Jugendarbeit gibt, in dem manche Darstellung im Vergleich noch schärfer zeigt, wo wir interkonfessionell voneinander lernen können.

Links

Rezension “Handbuch Kirchliche Jugendarbeit” (Hg. Kaupp/Höring)
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