Wer und wie sind die heutigen Konfis? – Neues aus Jugendforschung und Theologie
Ein Impulstext, der ursprünglich für den Kirchentag 2013 in Hamburg von mir geschrieben wurde.
Konfis sind Heranwachsende mit umgebautem Hirn: Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass sich bei Mädchen im Alter von 11 Jahren und bei Jungen im Alter von 12 Jahren extrem viele neue neuronale Verbindungen ausbilden. Diese werden entweder verwendet und geprägt oder sie bilden sich im Alter von etwa 25 Jahren wieder zurück. Zusätzlich verändert sich im Konfi-Alter der Körper zum Teil massiv, sowohl äußerlich als auch innerlich. Diese Veränderungen müssen erfolgreich ins Selbstbild integriert werden – eine große Entwicklungsaufgabe, die durch hormonelle und entwicklungsbedingte Stimmungsschwankungen zusätzlich erschwert werden. Die Folgen des Scheiterns sind bekannt: Magersucht, übertriebene Aggression, Pornographisierung des Denkens statt Erlernen von Zärtlichkeit.
Erfreulich ist, dass viele Jugendliche dank eines neuen Erziehungsstils besser mit ihren Eltern und Großeltern auskommen als früher. Die Pubertät führt seltener zu Auflehnung und Protest gegen Eltern und Erwachsenenwelt. Eher nimmt man eine sanfte Umorientierung wahr hin zur Autorität der peer group, der Gleichaltrigen in der Clique. Eltern und Großeltern sind als Bezugs- und Autoritätspersonen trotz aller Konflikte weithin anerkannt, auch die Lebens- und Musikstile von Eltern und Kinder haben sich z. T. deutlich angeglichen.
Konfis sind hemmungslose Pragmatiker: Aktuelle Jugendstudien (Shell Jugendstudie 2010, Sinus-Jugendstudie 2012) zeichnen die Jugendlichen als optimistische Pragmatiker – abgesehen von einer kleineren sozial ausgegrenzten Gruppe, die abgehängt zu werden droht und auch im Konfirmandenunterricht unterrepräsentiert ist.[1] Zielstrebig bereiten sie sich auf das Berufsleben vor, wollen als „Ego-Taktiker“ ihre Chancen optimieren. Großen Utopien und weltanschaulich fundierten Träumereien haben sie abgeschworen. Die Schule fordert seit „Pisa“ und G8 mehr Zeit und Leistung, entsprechend enger werden die Spielräume im außerschulischen Bildungsbereich und in der Freizeitgestaltung. Die große stille Frage, die viele Jugendliche umtreibt, lautet: „Was wird aus mir und wann werde ich es?“ Optionen gibt es mehr als genug, aber Kriterien sind Mangelware.
Konfis sind always online: Rasant hat sich das Mediennutzungsverhalten von Konfis verändert, die mobile Dauerflat auf dem Smartphone für Facebook und Co. wird immer üblicher. Kommunikation verbreitert und verkompliziert sich durch die digitale Parallelwelt, in der man sich oft vielfältiger ausprobieren kann als in der realen Welt, es aber nicht zu sehr tun sollte, weil alles gespeichert bleibt. Im Gehirn gespeichertes Vorrats-Wissen erscheint überflüssig, solange man weiß, wo man es wiederfindet. Auswendiglernen hat deshalb ein grundsätzliches Plausibilitätsdefizit. Die Aufmerksamkeitsspannen werden kürzer, Konzentrationsschwäche und innere Unruhe nehmen zu, die Unterscheidung von Medienschädigung und echtem ADHS fällt oft schwer. Virtuos spielen viele mit digitalen Medien und erarbeiten sich Schlüsselkompetenzen für eine Zukunft, die digital sein wird. Auch im Bereich der Konfirmandenarbeit?
Konfis sind kirchenkritische Theolog_innen: Sie sind leidenschaftliche Sinnsucher_innen und finden Sinn vor allem im persönlichen Glauben, der für sie nicht zwingend über Religion bzw. Kirche vermittelt sein muss. Glaube wird von ihnen gern als etwas Veränderbares und Individuelles gesehen, das man mit sich selbst ausmacht. (Sinus-Studie S. 77) Als Reaktion darauf versucht die Konfirmandenarbeit ähnlich wie die schulische Religionspädagogik die Theologie der Jugendlichen ernster zu nehmen als früher. Theologisieren mit Jugendlichen und Jugendtheologie ist deshalb nicht nur ein Modetrend, sondern eine sachliche Notwendigkeit.[2]
Leider ist das Image der sichtbaren Kirche nicht besonders gut: „Sie hat für viele etwas Statisches, wenig Formbares, Langweiliges, und das macht sie unattraktiv. Jugendliche assoziieren mit Religion v.a. die Kirchen, Religionsunterricht und religiöse Konflikte. In ihrer Wahrnehmung sind viele der kriegerischen Auseinandersetzungen der Gegenwart religiös motiviert. Darüber möchten die Jugendlichen oft mehr erfahren.“ (Sinus-Studie S. 78)
Konfis sind „religiöse Touristen“, die sesshaft werden können: In der Zeit der Konfirmationsvorbereitung sind Konfis häufig wie in einem fremden Land als „religiöse Touristen“ unterwegs. Gerne sind sie bereit, das eine oder andere Souvenir für ihre Lebensreise mitzunehmen, bevor sie wieder in ihre gewohnte Lebenswelt zurückkehren. Wie kann es gelingen, dass aus religiösen Touristen Einheimische werden, die sich in der Welt des Glaubens und in der Kirche, die ihm Raum gibt, zu Hause fühlen?
- Es braucht Zeit, heimisch zu werden. Deshalb muss früh begonnen (Konfi 3) und viel Zeit in guter Gemeinschaft miteinander verbracht werden. Längere Konfi-Camps und Sommerfreizeiten sind eine große Chance (Augsburger Modell).
- Die „Ureinwohner“ (Jugendarbeit, Erwachsene) müssen eine Kultur der Offenheit und Neugier aufeinander einüben und vorleben.
- Wer dauerhaft in einem Land leben will, möchte in der Regel wissen, wie man in diesem Land lebt, bevor er sich dauerhaft dort niederlässt. Neben Bauchgefühl und Emotion muss auch solide Grund-Information in der KA eine Rolle spielen. Religiöse Alphabetisierung ist angesagt.
- Kirche und das Reich Gottes sind kein DDR-Staat und keine Sekte, die ihre Bewohner daran hindert, das Land der Verheißung wieder zu verlassen. Nur ein freiheitliches Land ist heute noch attraktiv für Einwanderer! Aussteigen ist erlaubt, Wiedereinsteigen erwünscht.
Ein Hinweis zum Schluss: Die Aussagen dieses Impulstextes sind bewusst zugespitzt und schwarz weiß gemalt, damit sie Gespräche auslösen. Natürlich gibt es nicht „die Konfis“, jeder Mensch ist ein Individuum, lebt in einer anderen Lebenswelt und ist in einem anderen Milieu zu Hause. Vielleicht spielen aus Ihrer Sicht ganz andere Trends eine Rolle? Dann sagen Sie mir, welche … Einfach anmelden und mitdiskutieren.
[1] Vgl. Colin Cramer etc., Reform von Konfirmandenarbeit – wissenschaftlich begleitet. Eine Studie in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Gütersloh 2009, S. 193.
[2] Siehe dazu Thomas Schlag, Friedrich Schweitzer: Brauchen Jugendliche Theologie?: Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchener 2011 und Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen: Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen – Ein Werkstattbuch für die Sekundarstufe
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