Meine Predigt zu einem sehr persönlichen Thema, geschrieben für den 22. Sonntag nach Trinitatis. Wer könnte da nicht mitreden?
Liebe Gemeinde,
ich bekenne, dass ich faul bin. Oder genauer: Ich bekenne, dass ich das, was ich mir vornehme, nicht immer hinbekomme. Ich bekenne, dass ich Dinge gern aufschiebe. Prokrastination. Manchmal erledigen sie sich von selbst. Manchmal aber auch nicht und es fällt mir auf die Füße. Ich bekenne, dass ich ein schwacher Mensch bin. Meine Frau weiß das. Ich habe nicht immer klare Momente wie diese.
Hier im Raum sind außer mir natürlich nur Menschen, die alles, was sie sich vornehmen auch machen. Die keine guten Vorsätze brauchen, weil sie eh alles richtig machen und ihr Leben zu 100% im Griff haben. Die ihren inneren Schweinehund gezähmt haben. Der macht bei ihnen sogar Männchen, wenn sie das wollen. Menschen, die nie ein schlechtes Gewissen haben, weil bei ihnen Wollen und Tun ineinanderfallen und sie sich ständig im Flow des Guten befinden.
Alles klar, das war jetzt etwas übertrieben. Aber es führt uns auf die Spur eines spannenden Paulustextes. Er hat im Brief an die Römer versucht, seine komplette Theologie im Zusammenhang darzustellen. Denn er wollte die Gemeinde dort besuchen, die er bisher nicht kannte, und sich ihr empfehlen. Und es reizte ihn, sich intensiv mit den Texten der Bibel auseinanderzusetzen. Auch mit der Frage: Wie bekommen wir das Gesetz, von dem in der Torah und bei den Propheten so viel die Rede ist, zusammen mit der Botschaft Jesu, dass Gott ein liebender Vater ist, der unendlich verzeiht.
Hören wir die Argumente des Paulus aus Römer 7, ab V. 14. Ich lese nach der Übersetzung der Basisbibel (Röm. 7,14-25):
14 Wir wissen ja:
Das Gesetz ist vom Geist Gottes bestimmt.
Ich dagegen bin als Mensch
ganz von meiner irdischen Gesinnung bestimmt.
Ich bin mit Haut und Haaren an die Sünde verkauft.
15 Ja, wie ich handle,
ist mir unbegreiflich.
Denn ich tue nicht das,
was ich eigentlich will.
Sondern ich tue das,
was ich verabscheue.
16 Wenn ich aber das tue,
was ich eigentlich nicht will,
dann beweist das:
Ich stimme dem Gesetz innerlich zu
und erkenne an,
dass es recht hat.
17 Aber dann bin nicht mehr ich es,
der so handelt.
Es ist vielmehr die Sünde,
die in mir wohnt.
18 Ich weiß:
In mir –
das heißt: in meinem irdischen Leib –
wohnt nichts Gutes.
Der Wille zum Guten ist bei mir zwar durchaus vorhanden,
aber nicht die Fähigkeit dazu.
19 Ich tue nicht das,
was ich eigentlich will –
das Gute.
Sondern das Böse,
das ich nicht will –
das tue ich.
20 Wenn ich aber das tue,
was ich nicht will,
dann bin nicht mehr ich der Handelnde.
Es ist vielmehr die Sünde,
die in mir wohnt.
21 Ich entdecke also bei mir folgende Gesetzmäßigkeit:
Obwohl ich das Gute tun will,
bringe ich nur Böses zustande.
22 Meiner innersten Überzeugung nach
stimme ich dem Gesetz Gottes mit Freude zu.
23 Aber in meinen Gliedern nehme ich
ein anderes Gesetz wahr.
Es liegt im Streit mit dem Gesetz,
dem ich mit meinem Verstand zustimme.
Und dieses Gesetz macht mich zu seinem Gefangenen.
Es ist das Gesetz der Sünde,
das in meinen Gliedern steckt.
24 Ich unglücklicher Mensch!
Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen.
Wer wird mich davor bewahren?
25 Dank sei Gott!
Er hat es getan
durch Jesus Christus, unseren Herrn!
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Mit meinem Verstand diene ich zwar dem Gesetz Gottes.
Aber mit meinem irdischen Leib
diene ich dem Gesetz der Sünde.
Paulus redet hier von sich. Aber nicht nur von sich. Er sieht sich als typischen Menschen. Wir alle sind so. Und das ist keine psychologische Erkenntnis, obwohl Paulus vieles davon sicher auch an sich selbst entdecken konnte. Es ist eine biblisch-theologische Erkenntnis.
Manchmal hat man diesen Text mit der Psychologie verwechselt. Zum Beispiel der von Sigmund Freud, der das Unbewusst entdeckt hat. Das, was ich will, ist für ihn nur die Spitze eines Eisbergs. Unter der Oberfläche brodelt das Es. Die Triebe, die wir zum Überleben brauchen. Und in seiner prüden Zeit machte sich da vor allem der Sexualtrieb bemerkbar. Außerdem gibt es das Über-Ich. Die ganzen Regeln, die unsere Erzieher an uns hinbringen wollten und die wir mehr oder weniger freiwillig verinnerlicht haben.
Paulus redet von Fleisch, von einem Gesetz in den Gliedern, das verhindert, dass wir das tun, was Gott will. Aber die Triebe sind nicht die Sünde, denn sie gehören zu Gottes guter Schöpfung. Eine Abwertung des Körpers hatte Paulus nicht im Sinn, denn der Leib wird nicht vernichtet, sondern verwandelt auferstehen. Sünde ist für ihn etwas im Bewusstsein: Das Gute kennen, es aber nicht tun. Es gibt viel Gutes, von dem gilt: Keiner tut es. Genau das meint er.
Zum Glück sind wir in der Psychologie heute weiter als bei Altmeister Freud. Vielleicht kann uns die moderne Hirnforschung helfen. Die hat spannende Phänomene festgestellt: Der Amerikaner Benjamin Libet hat Anfang der 1980er Jahre ein Experiment gemacht, das den freien Willen in Frage stellt. Versuchspersonen sollten irgendwann die Hand heben und sich den Zeitpunkt merken, wann sie sich dafür entschieden hatten. Merkwürdigerweise war im Gehirn immer schon vorher ein Potential zur Bewegung der Hand zu messen, bevor die bewusste Entscheidung gefällt wurde.
Viele Hirnforscher folgern bis heute daraus, dass wir nicht wirklich frei in unseren Entscheidungen sind. Lauter selbständige und gut aufeinander eingespielte Neuronen in unserem Gehirn steuern uns unbewusst durch das Leben. Das Gefühl, entscheiden zu können, etwa zwischen gut und böse, wäre dann nur eine Illusion.
Und tatsächlich kennt wohl jeder das Gefühl: Da hast du gerade Mist gebaut, da hat dich irgendetwas geritten, du hast etwas gemacht, das du eigentlich nicht wolltest, aber mit dem du jetzt leben musst. Manchmal reicht eine schnelle Entschuldigung, aber oft genug haben wir nicht die Kraft dazu.
Ist das die Erfahrung die Paulus meint? Ich will es nicht ausschließen. Aber die Hirnforschung würde ja nie behaupten, dass wir immer zu falschen und sündigen Entscheidungen kommen. Über gut und böse wird in der Biologie keine Entscheidung getroffen, schließlich sieht man das gut entwickelte Gehirn des Menschen vor allem als Instrument, das ihm ein besseres Überleben ermöglicht hat.
Also, was will der gute Paulus uns sagen? Unser Text ist ja nur ein Ausschnitt. Es lohnt sich, zu Hause einmal den ganzen Zusammenhang zu lesen.
Jeder kennt die Gebote. Mindestens die zehn. Im Judentum gibt es insgesamt 613. Auch bei uns gibt es zahlreiche Vorschriften, egal ob ausgesprochen oder nicht. In Klassenzimmern hängen sie manchmal an der Wand.
„Wir lassen einander ausreden.
Wir benutzen keine Schimpfworte
Wir sind pünktlich.
Wir verlassen nach Schulschluss den Raum sauber und die Stühle werden hochgestellt“
Manche Gebote geben wir uns auch selbst: Du musst dich anstrengen! Sei besser als die anderen! Lass dich von niemand einschüchtern!
Diese Gebote, so stellt es Paulus fest, bewirken das Gegenteil von dem, was sie bewirken sollen. Statt dass wir sie einfach befolgen, einfach weil wir können, machen sie uns bewusst: Wir bekommen das nicht hin. Wie oft wird gegen Klassenregeln verstoßen. Die stehen einfach weiter da und alle reden wild durcheinander. Aber weil es dasteht, wissen alle, dass es eigentlich nicht richtig ist.
So ist es auch mit Gottes Geboten. Je genauer wir von Gott her wissen, was wir tun sollen, desto heftiger merken wir: Wir bekommen das alles nicht hin. Ein Leben nach Gottes Geboten scheint unerreichbar und wir fühlen uns als die schlimmsten Sünder auf Erden. Wer kann schon immer die Wahrheit sagen? Wer schätzt andere wirklich höher als sich selbst? Wer liebt vorbehaltlos und geduldig, auch wenn er gekränkt wird? Ich jedenfalls bekenne mich schuldig.
Christen wird manchmal vorgeworfen, sie würden den Menschen erst ein schlechtes Gewissen machen, bevor sie dann mit der Erlösung kommen. Und tatsächlich: Das Gewissen (vgl. Röm. 2,11ff) spürt diesen Unterschied zwischen dem, was ich soll und dem, wie ich mich verhalte. Aber das Sündenbewusstsein kommt letztlich nicht von Menschen, es ist eine Wirkung der göttlichen Gebote. Wenn wir Menschen es anderen einreden, läuft etwas falsch.
Was sind wir dann für unglückliche Menschen. Da will man doch resignieren und die ganze Sache mit dem Glauben auf den Mond schießen. Warum kann das nicht einfacher sein?
Zum Glück bleibt Paulus selbst in diesem Text nicht beim Rumjammern. Nach der Klage:
24 Ich unglücklicher Mensch!
Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen.
Wer wird mich davor bewahren?
Macht er so weiter:
25 Dank sei Gott!
Er hat es getan
durch Jesus Christus, unseren Herrn!
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Mit meinem Verstand diene ich zwar dem Gesetz Gottes.
Aber mit meinem irdischen Leib
diene ich dem Gesetz der Sünde.
Die Befreiung aus unserer verzweifelten Lage kommt von außen. Gott hat es durch Jesus getan, dass wir Freiheit von der Sünde geschenkt bekommen. Obwohl wir unseren alten Adam nicht loswerden, obwohl der scheinbar schwimmen kann, auch nachdem er in der Taufe ersäuft wurde, gibt es Erlösung und Befreiung. Es gibt dieses innere Umdenken, diese Ausrichtung auf Gott, die wir uns immer neu schenken lassen können. Zum Beispiel heute beim Abendmahl.
Aber wir bleiben gleichzeitig schwach und träge, der Geist wird immer wieder willig sein und das Fleisch schwach. Das darf nicht zur billigen Entschuldigung werden. Aber es ist eine Tatsache. Wenn wir zu guten Menschen werden, dann nur, wenn Gott durch uns hindurch wirkt. Gott sei Dank ist das möglich. Gott sei Dank müssen wir uns so nicht länger in die eigene Tasche lügen, wie heilig und fromm wir doch sind. Gott sei Dank ermöglicht uns das ein wirklich befreites, sorgloses Leben. Denn der Heilige Geist ist es, der uns dieses neue Leben trotz aller Vorläufigkeit schon heute schenkt. Amen.
Lesetipp
Wer bei Paulus tiefer einsteigen will, dem empfehle ich das Buch von Gerd Theißen, Der Anwalt des Paulus (hier meine Rezension dazu).
Tolle, spannende Predigt!