Hansjörg Hemminger, evangelikal. Von Gotteskinder und Rechthabern, Brunnen Verlag Gießen 2016, 240 Seiten, 15 Euro, https://brunnen-verlag.de/evangelikal-von-gotteskindern-und-rechthabern.html

In Württemberg sind sie allgegenwärtig und prägen das kirchenpolitische Klima, die “Evangelikalen”. Dabei ist selbst für Leute vom Fach nicht immer leicht erkennbar, wer jetzt eigentlich “evangelikal” ist und was man dann genau denkt und glaubt.

Aufklärung ins Dunkel bringt sehr humorvoll und kenntnisreich der Weltanschauungs-Experte Dr. habil Hansjörg Hemminiger (https://de.wikipedia.org/wiki/Hansj%C3%B6rg_Hemminger). Sehr sympathisch ist, dass er die Haltung eines Verhaltenswissenschaftlers einnimmt, was er von seiner beruflichen Herkunft ja auch ist. Dass er selbst ausreichend Studienobjekte in seiner Umgebung hat, kann man schon dem Wohnort Baiersbronn entnehmen, denn mehr Schwarzwald gibt’s nirgends, so jedenfalls der Slogan dieses Ortes. Und dass der Schwarzwald auch spirituell so manche Spezialbewegung hervorgebracht hat, gefühlt pro Tal eine, ist auch bekannt.

Ausführlich  wird die Geschichte der Evangelikalen dargestellt. Man erfährt, dass “Fundamentalismus” anfangs gar kein Schimpfwort war, sondern eine Eigenbezeichnung. Gut wird herausgearbeitet, wie “evangelikal” gleichzeitig modern und antimodernistisch sein kann und sich in verschiedenen Auseinandersetzungen – etwa im Streit um die Bibel oder um die Fragen, wie man mit Evolution und Homosexualität umgehen soll, das Profil der Evangelikalen herausgebildet hat.

Schon der Titel enthält beides: Wertschätzung und Kritik, die v.a. die sog. “Bekenntnis-Evangelikalen” mit ihrer Rechthaberei trifft. Schonungslos werden ihnen blinde Flecken nachgewiesen. Viele Mythen der Evangelikalen werden entlarvt, etwa dass es der Kirche besser gehen würden, wenn nur alle bibeltreu in ihrem Sinne wären. Deutlich wird vielmehr, dass Volkskirche und Evangelikale wechselseitig aufeinander angewiesen sind.

Nach meiner Wahrnehmung – etwa in der Ausbildung von Vikar/innen – haben sich die Grabenkämpfe und Parallelstrukturen früherer Zeiten – Stichwort Bengelhaus vs. Tübinger Stift – allmählich überlebt, was aber nicht heißt, dass die Meinungsunterschiede nicht mehr bestehen. Zeitgeisttypisch werden sie nur nicht mehr so offen ausgetragen. Man lässt sich gegenseitig eher stehen oder geht sich aus dem Weg. Ausnahmen bestätigen die Regel, haben aber immer weniger Reichweite.

Nicht jeder der fromm ist, ist auch evangelikal. Das wird schön deutlich in diesem Buch. Je mehr in Zeiten von Dauerpopulist und -twitterer Trump und transatlantischen Handelskriegen die amerikanische Leitkultur in die Krise gerät, desto stärker müssen sich auch die deutschen Evangelikalen fragen lassen, ob sie nicht unnötig manches Problem aus Amerika importiert haben – etwa die pseudowissenschaftliche Argumentationsweise des Kreationismus. Hier ist Hemminger als Naturwissenschaftler erfreulich klar.

Evangelikal sind oft besonders dünnhäutig und fühlen sich leicht verfolgt, wenn über sie in der weltlichen oder liberaleren kirchlichen Presse berichtet wird. Was leider in Hemmingers Buch fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit der Wochenzeitschrift ideaSpektrum, in der immer wieder durchaus pointiert und manchmal recht einseitig Meinungen aus dem evangelikalen “Spektrum” vertreten werden, die in Gemeinden eine große Reichweite erlangen.

Ansonsten finde ich das Buch für Insider und neugierige Outsider eine wunderbare Grundlage, sich diesem spannenden, einflussreichen, manchmal auch nervigen Völkchen namens “Evangelikale” zu nähern. Ich habe es gern gelesen und kann es nur empfehlen.

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Transparenzhinweis

Das Buch wurde mir im Rahmen des Bloggerprogramms des Brunnenverlags unentgeltlich zur Rezension zur Verfügung gestellt: https://brunnen-verlag.de/blog/faqs-fuer-blogger Mich hat das Thema interessiert, weil es ein Themenwunsch aus unserer Männergruppe war.

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Rezension “evangelikal. Von Gotteskindern und Rechthabern”
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Ein Kommentar zu „Rezension “evangelikal. Von Gotteskindern und Rechthabern”

  • 21. September 2018 um 21:21 Uhr
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    Ein tolles und einfach verständliches Buch! Fünf Sterne.

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