Die Jahreslosung 2020 ist wunderbar prägnant, widersprüchlich, fast dialektisch. Sofort klingt das Thema Zweifel, die Rückseite des Glaubens an, ein Thema das jeden Glaubenden beschäftigt.
Die Ideen auf dieser Seite dürfen gern frei verwendet und weiterentwickelt werden. Noch schöner ist es, wenn jemand auch seine Ideen mit mir teilt, denn ich werde noch öfter etwas zur Jahreslosung machen.
Bildbetrachtung
Zwei Typen sind dargestellt auf diesem Bild, das sofort an das Wunder des Seewandels erinnert. Ein skeptisch wirkender Mann und eine fröhlich springende Frau. Das erinnert an den “Sprung in den Glauben”, über den Sören Kiekegaard immer wieder nachgedacht hat (vgl. https://parapluie.de/archiv/sprung/kierkegaard/).
Bin ich bereit zu springen, bin ich bereit der Verheißung Jesu zu trauen, dass ich auch auf ungewissem Untergrund gehen kann?
Auch sonst im Leben gibt es nirgendwo 100%ige Sicherheit. In Glaubensdingen hätten wir das gern und verweigern andernfalls den nächsten Schritt. In der Geschichte erleben wir einen verzweifelten Vater, der trotz seiner Zweifel alles auf eine Karte setzt und sich an Jesus und seine Jünger wendet. Und er wird nicht enttäuscht.
Urheberrechtliches: Das Design der Jahreslosungskarte stammt von mir und darf für nichtkommerzielle Zwecke gern beliebig verwendet werden. Das ursprüngliche Foto stammt von unsplash: https://unsplash.com/photos/_U8RyuBtvQU
Meine Predigt zur Jahreslosung
kann hier nachgehört werden: https://www.kemnat-evangelisch.de/downloads/predigten/
und hier nachgelesen. Dazu wurde diese Powerpoint-Präsentation gezeigt: web-2020-01-01-Jahreslosung
Liebe Gemeinde,
[Folie 1] [Folie 2]
ein neues Jahr beginnt. Sogar ein neues Jahrzehnt. Die „goldenen Zwanziger“. Zumindest im letzten Jahrhundert waren sie golden. Satt steht diese Doppelzwanzig da. Ein besonderes Jahr.
Was wird dieses Jahr mir bringen, frage ich mich. Geht es weiter wie bisher? Kommt eine Krise oder ein riesiger Glücksfall? Werde ich die Liebe meines Lebens kennen lernen oder verändern sich meine Beziehungen zu denen, die mir nahe stehen? Was bringt dieses Jahr geistlich? Werde ich wachsen im Glauben oder treibt mich dieses Jahr weg von Gott?
Über jedem Jahr steht eine Jahreslosung, mit der wir uns heute beschäftigen wollen. Wer kennt sie noch, die wunderbaren Jahreslosungen der vergangenen 6 Jahre? Was hat man mit ihnen erlebt? Oder sind sie schnell wieder vergessen worden.
Quiz:
[Folie 3]
2019 Ps 34,15 Suche Frieden und jage ihm nach!
[Folie 4]
2018 Offb 21,6 Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
[Folie 5]
2017 Ez 36,26 Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.
[Folie 6]
2016 Jes 66,13 Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
[Folie 7]
2015 Röm 15,7 Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
[Folie 8]
2014 Ps 73,28 Gott nahe zu sein ist mein Glück.
Auch wenn man nicht alle aktiv wiedergeben könnte, leuchtet doch etwas auf vor dem inneren Auge. Ja, da hat mich eine Botschaft durch das Jahr begleitet. Dieser Vers ist mir wichtig geworden.
Vielleicht wird es ja dieses Jahr auch so:
[Folie 9]
Jahr 2020: Ich glaube, hilf meinem Unglauben. (Markus 9,24).
Da klingt neben dem kirchlichen Dauerthema Glaube sehr deutlich der Unglaube an. Der Zweifel, das Nicht- oder Nicht-mehr-glauben-können. Ein sehr aktuelles Thema.
In einer groß angelegten Untersuchung hat ein Team um Tobias Faix, Professor für Praktische Theologie an der CVJM-Hochschule in Kassel, sich mit der Frage beschäftigt, warum Menschen nicht mehr glauben können oder wollen. Dabei haben sich vier Leitmotive herauskristallisiert:
[Folie 10]
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„Christen sind nicht das, was sie singen“ – das Leitmotiv Moral
Leider ist das oft so: Menschen können enttäuschen, auch Christen. Da gibt es extrem enge Moralvorstellungen, die einengen und gesetzlich sind. Da gibt es Menschen, die verletzen, Macht ausüben oder sogar Missbrauch.
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Ich habe viel gekämpft und langsam merkte ich: Das passt alles nicht zusammen.“. Das Leitmotiv Intellekt
Vieles, was in der Bibel steht, passt nicht zum heute gängigen naturwissenschaftlich geprägten Leitbild. Natürlich kann man da Brücken bauen, trotzdem gibt es Menschen, für die da gar nichts mehr zusammenpasst. Und das sind nicht unbedingt die dümmsten.
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„Vieles was ich früher gelernt habe, ergibt heute für mich keinen Sinn mehr.“ Das Leitmotiv Identität
Das ist oft bei Menschen der Fall, die sehr christlich erzogen wurden. Beim Erwachsenwerden verabschieden sie sich dann auch von ihrem Kinderglauben. Früher war das alles schön und gut, aber heute lebe ich mein eigenes Leben … Und da spielt Glaube einfach keine Rolle mehr. Zu viel anderes steht im Vordergrund.
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„Mein Problem ist, ich habe einfach kein Vertrauen zu Gott.“ Das Leitmotiv Gottesbeziehung
Solche Menschen erleben eine Krise in ihrer Beziehung zu Gott. Sie haben zu Gott um Hilfe gebetet und keine bekommen. Ein Schicksalsschlag hat sie getroffen, das Bild vom liebenden Gott hat Risse bekommen. Übrigens kommt dieses Motiv seltener als die anderen vor, obwohl es für den Glauben eigentlich zentral ist.
Es gibt Verse in der Bibel, die stehen für sich. Ein Wort Jesu, das er sagt in einer Rede. Ein markanter Psalmvers. Und es gibt Bibelverse, die tragen eine ganze Geschichte huckepack. Und wenn man den Vers dann ohne die Geschichte verwendet, wird er schief und verliert an Konkrektion.
So verhält es sich mit unserer Jahreslosung. Schauen wir uns erst einmal die Geschichte an, die dahintersteckt. Sie steht in Markus 9
[Folie 11]
Mk. 9,14 Jesus kam mit den drei Jüngern zu den anderen zurück.
Er fand eine große Volksmenge um sie versammelt.
Darunter waren auch einige Schriftgelehrte, die mit den Jüngern stritten.
15 Die Volksmenge sah ihn sofort und wurde ganz aufgeregt. Die Leute liefen zu ihm hin und begrüßten ihn.
16 Und er fragte sie: »Worüber hattet ihr Streit mit meinen Jüngern?«
17 Ein Mann aus der Volksmenge antwortete:
»Lehrer, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht. Er ist von einem bösen Geist besessen, der ihn stumm gemacht hat.
[Folie 12]
18 Wenn der Geist ihn packt, wirft er ihn zu Boden. Er bekommt Schaum vor den Mund, knirscht mit den Zähnen und sein ganzer Körper verkrampft sich.
Ich habe deine Jünger gebeten,
dass sie den Geist austreiben – aber sie konnten es nicht.«
19 Da antwortete er ihnen: »Was seid ihr nur für eine ungläubige Generation? Wie lange soll ich noch bei euch bleiben? Wie lange soll ich euch noch ertragen? Bringt ihn zu mir!«
20 Und sie brachten den Jungen zu Jesus.
Sobald der Geist Jesus sah, schüttelte er den Jungen durch heftige Krämpfe. Er fiel zu Boden, wälzte sich hin und her und bekam Schaum vor den Mund.
21 Da fragte Jesus den Vater: »Wie lange hat er das schon?«
Er antwortete: »Von klein auf. 22 Der böse Geist hat ihn auch schon oft ins Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen.
Wenn du kannst, dann hilf uns! Hab doch Erbarmen mit uns!«
[Folie 13]
23 Jesus sagte: »Was heißt hier: ›Wenn du kannst‹? Wer glaubt, kann alles.«
24 Da schrie der Vater des Jungen auf: »Ich glaube, hilf meinem Unglauben.«
25 Immer mehr Menschen kamen zu der Volksmenge.
Als Jesus das sah, gebot er dem unreinen Geist: »Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Verlasse den Jungen und kehre nie wieder in ihn zurück!«
26 Da schrie der Geist auf und schüttelte den Jungen durch Krämpfe hin und her. Dann verließ er ihn. Der Junge lag da wie tot. Schon sagten viele: »Er ist tot.« 27 Aber Jesus nahm seine Hand und zog den Jungen hoch. Da stand er auf.
28 Dann gingen Jesus und seine Jünger nach Hause. Als sie allein waren, fragten die Jünger ihn: »Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben?« 29 Er antwortete ihnen: »Solche bösen Geister können nur durch das Gebet ausgetrieben werden.«
[Folie 14]
Widmen wir uns zuerst einmal dem Skeptiker, diesem Vater, den die Not zu Jesus treibt. Reden wir über den Skeptiker und Zweifler Thomas in uns.
Er ist durch persönliches Leid sehr herausgefordert. Sein Sohn hat nach heutigen Vorstellungen Epilepsie. Damals deutete man das als Besessenheit durch einen bösen Geist.
Zuerst geht er zu den Jüngern Jesu, aber die können nicht helfen. Wird Jesus, der Rabbi es schaffen?
Da ist es wieder dieses Motiv des Unglaubens: Die Christen sind nicht so, wie Christus es will. Sie bekommen es nicht hin, dass es mir besser geht. Zum Glück geht der Vater jetzt nicht gleich frustriert mit seinem Sohn wieder nach Hause. Als Jesus dazukommt nutzt er seine Chance und schildert sein Problem.
Wahrer Glaube richtet sich an Jesus aus und lässt sich nicht von seinem Bodenpersonal abschrecken.
Aber auch Jesus löst die Zweifel nicht einfach auf mit einem Machtwort. Ein Geheimnis vieler Wunder Jesu ist, dass er zuerst den Glauben provoziert und sehen will, das Vertrauen, dass er helfen kann. Erst dann geschieht das Wunder. „Dein Glaube hat dir geholfen“, heißt es dann oft.
Jesus hält es aus, dass der Junge vor seinen Augen einen heftigen Anfall bekommt. Schaum vor dem Mund, er liegt am Boden, zuckt, wälzt sich hin und her. Ein schrecklicher Anblick.
Jesus will trotzdem, dass der Vater Vertrauen fasst. Aber seine Bitte kommt nur halbherzig, halbgläubig: „Wenn du kannst, dann hilf uns doch.“
Wenn wir ehrlich sind, kennen wir das gut. Wir sind irgendwie schwachgläubig, restgläubig. Nicht richtig unbläubig, aber doch so zaghaft im Vertrauen auf Gott, dass wir uns kaum trauen, um das zu bitten, was uns wirklich wichtig ist: „Wenn du kannst, Gott, hilf mir doch.“ Aber das ist besser als nichts. Es ist ein Anfang, an den Gott anknüpfen kann.
Unterbrechen wir die Predigt an dieser Stelle und singen miteinander das Jahreslosungslied (s.u.)
https://jahreslosung.net/wp-content/uploads/2019/11/EJW_JL2020_Melodie.pdf
Jesus sagt zum Vater »Was heißt hier: ›Wenn du kannst‹? Wer glaubt, kann alles.«
Mich erinnert das an Jesus auf dem See, der Petrus einlädt zu sich zu kommen.
[Folie 15 Sprung]
Manchmal braucht es einen richtigen Ruck, damit wir uns trauen zu glauben, einen Anstoß von außen. Einen Sprung in den Glauben. Alles ist möglich, dem der da glaubt. Aber nicht dem, der an sich glaubt, sondern dem, der auf Gott vertraut.
Und jetzt erst, von Jesus provoziert, schreit der Vater auf: »Ich glaube, hilf meinem Unglauben.«
Da ist sie, die Jahreslosung. Auf sie folgt die Heilung. Aber die ist hier noch Zukunftsmusik, genauso wie für uns das kommende Jahr.
[Folie 16 ganzes Bild]
Hier haben wir sie vor Augen. Was kann sie uns für dieses Jahr mitgeben? Zum Abschluss drei kurze Gedanken.
1. Es ist wichtig und in Ordnung, seine Zweifel, seinen Unglauben zuzugeben. Gott sind ehrliche Zweifler lieber als heuchlerische 150%-Gläubige. Er sieht sowieso in unser Herz, deshalb müssen wir auch Menschen nichts vorspielen. Wer in Glaubensdingen völlig ohne Zweifel ist, wer immer voll auf Gott vertraut, egal was im Leben passiert, hat vermutlich noch nicht viel mit Gott erlebt, der unseren Glauben immer wieder auf die Probe stellt.
2. Ich glaube. Dieses „Ich glaube“ ist ein „Ich glaube schon irgendwie“ und es ist wichtig, dass es ausgesprochen wird. Credo. Sich zum Glauben an Jesus bekennen – dazu gehört Mut, gerade heute, wo die religiöse Vielfalt und der Unglaube zunimmt. Wie oft werden wir es schaffen, ein mutiges „Ich glaube aber an Gott, egal wie schwer mir das manchmal fällt“ auch tatsächlich zu äußern in Diskussionen mit Schulkameraden, Arbeitskollegen oder der Verwandtschaft.
3. Hilf meinem Unglauben. Diesen Teil kann man leicht missverstehen. Er bedeutet eher: Hilf meinem Unglauben ab. Unterstütze meinen schwachen Glauben, damit er stark wird. Unsere Zweifel, unser fehlendes Vertrauen können wir nicht durch einen heroischen Akt beseitigen, indem wir uns vornehmen, ab sofort nicht mehr zu zweifeln. Viel eher geht es darum, uns auf den Rabbi Jesus einzulassen. Er bringt den Vater dazu zu glauben, bevor tatsächlich das Wunder geschieht. Er kann auch uns Wege führen, die unseren Glauben stärken.
Und unser Glaube muss dafür nicht riesengroß sein. Auch diese Botschaft steckt in der Jahreslosung. Es reicht, wenn er groß ist wie ein Senfkorn. Das kommt in Matthäus 17 zum Ausdruck, wo die gleiche Geschichte erzählt wird, aber noch eine Botschaft von Jesus dazukommt:
V. 20: Wenn euer Glaube nur so groß ist wie ein Senfkorn, könnt ihr diesem Berg befehlen: ›Geh von hier nach dort!‹ Und er wird dorthin gehen. Dann wird für euch nichts unmöglich sein.«
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben“. Dass jeder hier im Raum mit diesem Senfkornglauben im neuen Jahr gute Erfahrungen macht, kleine und große Wunder erlebt, das wünsche ich uns. Amen
Unterrichtsbausteine
Sehr passend zur Wundergeschichte, die im Hintergrund der Jahreslosung steht, ist die Arbeit mit dem eindrucksvollen Kurzfilm “Spin”. Dazu habe ich einmal einen Gottesdienst gestaltet, den man hier findet: Spin: Wie greift Gott in mein Leben ein? Außerdem gibt es einen schönen anKnüpfen-Baustein von Bernd Wildermuth dazu: Bernd Wildermuth und Martin Hinderer, Von der Black-Box zum Altar. Neue Wege der Gotteserkenntnis, in: anKnüpfen Praxisideen für die Konfirmandenarbeit, 2. Aufl. 2013, Calwer Verlag Stuttgart, S. 128-135. Zuerst erschienen in anKnüpfen update 7 für alle, die brav Hefte sammeln wie sich das gehört.
Lesestoff
- Sehr lesenswerter Text von Tobias Faix mit interessanten Einblicken in die empirische Untersuchung zu “Entkehrungsgeschichten” http://tobiasfaix.de/2019/12/ich-glaube-hilf-meinem-unglauben-ueberlegungen-zur-jahreslosung-2020/ vgl. https://www.scm-brockhaus.de/warum-ich-nicht-mehr-glaube.html
Weitere Ideen
- Spiegelbild zur Jahreslosung von Gunther Seibold, mein neuer Chef und Dekan, auf den ich mich schon sehr freue: https://www.gunther-seibold.de/jahreslosungen/t_jahre_2020.htm
- Nettes Motiv mit Krokodilen für Kinder von Nina Dulleck https://jahreslosung.net/jahreslosung-2020-motiv-nina-dulleck/
Videos zur Jahreslosung
Video von LUX Kollektiv, Text & Musik: Martin Mohns und Matthias Weida
Leadvocals: Martin Mohns, Notenblatt: https://jahreslosung.net/wp-content/uploads/2019/11/dein-glaube-reicht_noten.pdf
Lied aus dem ejw Württemberg (alle Noten und Materialien unter https://jahreslosung.net/) Text (zu Markus 9,24) und Musik: Gottfried Heinzmann, Hans-Joachim Eißler
Will it blend? Impulsvideo zum Thema Glauben. Eine witzige Serie von Wetten (die immer positiv ausgehen). Die Idee stammt von Rainer Schemenauer aus seinem Material 316g Zündstoff (vgl. https://new.ymms.de/shop/316g-Z%C3%BCndstoff-DVD-p131126095).
Weitere Ideen und gute Seiten
Ich wünsche euch allen ein gesegnetes, glaubensstarkes Jahr 2020, in dem ihr eure Zweifel nicht künstlich unterdrücken müsst und trotzdem großartige Glaubenserfahrungen macht. Und ich freue mich über alle Kommentare hier im Blog, gern auch mit weiteren Ideen, die ihr selbst produziert oder irgendwo gefunden habt.
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