Sterbehilfe kommt in Mode. Laut einer im Auftrag der Zeit durchgeführten Umfrage sind 66 Prozent der Bundesbürger dafür, aktive Sterbehilfe künftig zu erlauben, interessanterweise sind jüngere Leute kritischer als ältere bei diesem Thema. Dass das Parlament in Belgien – falls der König es mit seiner Unterschrift bestätigt – künftig den Weg für alle Kinder unter 18 Jahren freimacht, auf Verlangen getötet zu werden, wenn Eltern und Ärzte einverstanden sind und das Kind entscheidungsfähig ist, wirkt für deutsche Verhältnisse zum Glück noch sehr merkwürdig, auch wenn manche sich bei diesem Thema offenere Regeln wünschen. Belgien würde jedenfalls mit dieser Entscheidung zum ersten Land weltweit, das Sterbehilfe ohne Altersgrenze erlaubt. Deutschland hat sich zu Zeiten des Nationalsozialismus hier schon einmal weit vorgewagt – Stichwort Euthanasie, Stichwort lebensunwertes Leben – zum Glück ist die Politik weiterhin vorsichtig. Wie steht es um den Wert des Lebens, wer definiert den? Eine zentrale Frage gerade auch für Jugendliche und Konfis. Es lohnt sich mit ihnen Fragen wie folgende zu diskutieren:
- Hat mein Leben auch dann einen Wert, wenn es nicht voll oder überhaupt nicht mehr meinen Vorstellungen entspricht?
- Inwiefern haben Eltern (in extremen Situationen, bei unheilbaren Krankheiten, bei schrecklichen Schmerzen) ein Recht, dem Wunsch ihres Kindes auf Beendigung des eigenen Lebens zu entsprechen und aktiv dazu beizutragen, dass dies möglichst würdevoll geschehen kann?
- Wie verhält es sich zueinander, dass es zur von Gott gewollten Würde des Menschen gehört, sein Leben selbst beenden zu können, und dass es für gläubige Menschen gleichzeitig nicht in Ordnung ist, selbst darüber zu entscheiden, dass dieses, mein konkretes Leben so nicht zumutbar ist (frei nach Bonhoeffer, Ethik)?
- Ethisch spannend und praktisch relevant ist auch die aktuell diskutierte Frage nach der Rezeptpflicht für die “Pille danach”. Sie soll in Deutschland weiterhin nur auf Rezept erhältlich sein soll, obwohl man nur 72 Stunden Zeit hat, sie zu nehmen. Nur in Deutschland, Italien und Polen ist die Pille danach (noch) rezeptpflichtig. Ich habe hier keine abschließende Meinung, sicher ist es besser die Pille danach zu nehmen als später abzutreiben. Aber auch hier wird eine heikle Grenze berührt, wo Menschen über das Lebensrecht anderer Menschen entscheiden.
Ein wichtiger Gedanke scheint mir, dass wir allgemeine, gesetzliche und auch ethische Regeln, nicht ausgehend vom betroffen machenden Einzelfall aus diskutieren und gesellschaftlich-demokratisch beschließen sollten. Immer wenn sich eine Regel ändert, passt sich auch das sonstige Verhalten daran an, das nicht in einer Extremlage ist. Es verschiebt sich nicht nur die rechtliche und moralische Beurteilung von Einzelfällen, sondern es gibt zahlreiche “Nebenwirkungen” solcher Regelanpassungen. Wenn Sterbehilfe leichter möglich wird, kommt es nicht nur dazu, dass einige scheinbar berechtigte Fälle legal werden, es kommen auch diejenigen unter Rechtfertigungsdruck, die anderen ihr Leiden ersparen wollen. Ganz deutlich ist das bei älteren Menschen, wo man oft genug darüber redet, dass ihr Tod eine Erlösung war. Was soll dann schlimm daran sein, diese Erlösung aktiv etwas früher herbeizuführen. Etwas anderes ist natürlich der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, aber das ist weniger Sterbehilfe als sterben lassen.
Ein ähnliches Denken wie bei alten Menschen ist auch bei Kindern denkbar, die spüren, dass sie durch eine Zustimmung zur Sterbehilfe ihren Eltern eine unnötig verlängerte Leidensfrist ersparen. Die klare christliche Option für das Leben durchzuhalten ist auf den ersten Blick vielleicht nicht immer leicht, aber dank Palliativmedizin heute eher leichter als früher.
Theologisch steht im Hintergrund die Vorstellung, dass ich nur existiere, weil Gott das wollte und will. Im Konfi-Buch “anknüpfen – meine Konfirmation” findet sich der Songtext von Jürgen Werth “Du bist Du”. “Du bist ein Gedanke Gottes, ein genialer noch dazu.” Auch wenn ein Mensch leidet – siehe Hiob – gilt das noch, zeigt es sich auf einer anderen Ebene vielleicht noch viel deutlicher.
Vielleicht sind diese aktuell diskutierten Themen ein guter Anlass, mit Jugendlichen und Konfis neu über das fünfte Gebot “Du sollst nicht töten” nachzudenken …
Zum Schluss noch zwei Linktipps:
- Ein sehr lesenswertes, spannendes Interview mit dem Kinderpalliativ-Mediziner Boris Zernikow zum Thema bringt die Süddeutschen Zeitung.
- Ausführliche theologische Einordnung der vertretenen Positionen durch Heinrich Bedford-Strohm “Verantwortlich mit dem Leben umgehen – Zur Diskussion um die Sterbehilfe”.