Georg Schützler, Aufrecht. Religion als Rückgrat stärkende Ressource, Echter Verlag 2022, 12,90 Euro, 135 Seiten
Was hat der aufrechte Gang des Menschen mit Religion und Glaube zu tun? Wie wird man ein aufrechter Mensch? Was verhindert die häufig zu beobachtende Deformierung, die manchmal auch durch Religion geschieht? Wie helfen biblische Texte und der christliche Glaube dabei, aufrecht durchs Leben zu gehen und sich nicht von jedem Lüftchen umblasen zu lassen? Diesen Fragen geht der frühere Ludwigsburger Citypfarrer, der mit seinen Nachteulengottesdiensten viele Menschen angesprochen hat, in seinem neuesten Buch nach.
Einfühlsam werden Bedrohungen beschrieben, die eine aufrechte Lebenshaltung zunichte machen können: Ängste vor Krankheiten und Katastrophen genauso wie Mobbing und fehlender Raum zur Entfaltung.
Anregungen, wie Menschen ein fester Stand gelingen kann, gewinnt Schützler dann aus dem Bild vom Baum, das in Psalm 1 entwickelt wird. Er schlägt dann einen großen Bogen durch die Bibel von Jesus, der das Sorgen radikal einschränken wollte, über den Gelähmten und die gekrümmte Frau, die Jesus heilte, über Zachäus, der einen Baum brauchte, um größer zu sein, bis hin zum Regenbogen, der menschlich-aufrechtes Leben ohne katastrophales göttliches Strafgericht verspricht. Viele dieser bekannten Geschichten interpretiert Schützler sehr frei, stark psychologisierend, aber gerade das ist anregend, auch für die eigene Predigtsprache und Bibelauslegung.
Als man schon denkt, alle religiös-christlichen Bezüge seien abgegrast, gelingt es ihm schließlich noch, Ostern als Aufrichtung aus dem Tod heraus und Vergebung als Befreiung von der Verkrümmung der Sünde in die Bildwelt des aufrechten, von Gott aufgerichteten Menschen hinein zu verweben. Das hat mir sehr gefallen. Als der große Bogen schon zu Ende ist, beschreibt ein Epilog noch einmal eine sehr aktuelle Gefahr: die der Auslieferung des Menschen an Algorithmen und Datenkraken großer Konzerne, die ihn steuern und ihm seine Selbständigkeit nehmen.
Mir hat das Buch Mut gemacht und ich kann es gerne weiter empfehlen, auch als Geschenk für religiös suchende oder kritisch nachdenkende Menschen, denen manche Antwort des Glaubens sonst allzu platt daherkommt. Gefallen wird das Buch auch allen Liebhabern des Waldes und von Bäumen, da die Waldwirtschaft für viele Gedankengänge Pate steht. Außerdem hat es mich angeregt auf den Gleisen des Aufrechtseins weiterzudenken, etwa über die Frage, ob die Lordose genannte Krümmung der Wirbelsäule, für die es bei Stühlen extra eine Lordosenstütze gibt, nicht mehr Beachtung verdient hätte in diesem Aufrecht-Diskurs. Und da kommt mir natürlich sofort Wolf Biermanns Text in den Sinn “Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich.” Ja, wir brauchen aufrechte Menschen, auch aufrechte Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich nicht verbiegen lassen und den Stürmen der Zeit standhalten. Möge dieses Buch seinen Beitrag dazu leisten, dass es mehr von ihnen gibt.