Rezension: Johannes Ehmann, Die badischen Unionskatechismen : Vorgeschichte und Geschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert, Stuttgart, Verlag W. Kohlhammer, 2013, 807 S, EUR 39,90

Der Katechismus ist zu Unrecht aus der Mode gekommen. Spielt er im Religionsunterricht der Schule schon lange keine Rolle mehr, wird er auch bei der Vorbereitung auf die Konfirmation mehr und mehr an den Rand gedrängt. Die „Tornister-Didaktik“ mit Texten, die man so gut auswendig gelernt hat, dass sie noch im Schützengraben und erst recht auf dem Sterbebett präsent sind, hat ausgedient. Auswendiglernen hat im Gefolge der autoritätskritischen Pädagogik der 1960er und 70er Jahre ein schlechtes Image bekommen und wird erst in den letzten Jahren wiederentdeckt.

Doch jede Entwicklung hat ihren Preis. War früher schon jedem Konfirmanden klar, was Kernstücke des Glaubens sind, auch wenn diese inhaltlich sicher nicht immer durchdrungen waren, vergisst man heute zwischen Lebenswelt- und Spaßorientierung leicht, dass Religion als Praxis und Inhalt, als fides qua und quae gelernt werden muss und dafür Standards und Formulierungsbeispiele hilfreich sind.
Zwei Jubiläen könnten produktiv sein und waren es schon für eine neue Konjunktur des Katechismus: das 450jährige Jubiläum des Heidelberger Katechismus, zu dem vorliegendes Werk erschienen ist, sowie das Reformationsjubiläum 2017, das zu einer Rückbesinnung auf die reformatorischen Grundlagen führen könnte und das 500-Jahre-Jubiläum des Kleinen und großen Katechismus Luthers 2029 vorwegnehmen könnte.
ehmann-unionskatechismenSpannend zu lesen ist die enorm produktive Aktualisierung der lutherischen und reformierten Katechismen, die durch die badische Union angestoßen wurde. Während andere Landeskirchen sich mit dem Status quo zufrieden geben konnten, musste die badische Kirche notgedrungen, aber doch auch aus Unions-Überzeugung und mit dem festen Willen, die konfessionelle Spaltung des Protestantismus zu überwinden, neue Formulierungen finden, die sowohl der gegenwärtigen Theologie als auch dem reformatorischen Erbe entsprachen.
Kaum zu unterschätzen ist die Fleißarbeit, die Johannes Ehmann, apl. Professor mit Schwerpunkt badische Kirchengeschichte in Heidelberg, unternommen hat, indem er alle offiziellen und viele private Entwürfe für den offiziellen Unionskatechismus unter die Lupe genommen hat. Vollständigkeit wird von ihm angestrebt, umfangreiche Beigaben schwer greifbarer Texte machen es leicht, der Argumentation zu folgen. Freilich geht manchmal über allen Details ein wenig die große Linie verloren, die Geschichte ja nie von sich aus liefert, aber das ist vermutlich nicht anders machbar. Die Zusammenfassungen helfen hier, wenigstens die großen Entwicklungen im Blick zu behalten.
Für Unterrichtspraktiker fallen viele spannende Details auf, wie der Katechismus konkret gelehrt wurde angesichts der schon immer großen Herausforderung, den Wortlaut lebhaften Kindern und Jugendlichen einzuprägen. Denn von den gelehrten, traditionsgesättigten Worten Abschied zu nehmen fiel schwer. Pädagogisches Geschick wurde immer wieder gefordert und war wohl selten genug tatsächlich vorhanden. Es war immer wieder umstritten, ob der Landeskatechismus nun ein Bekenntnisbuch sei oder ein Lehrbuch (S. 28f).
Für Württemberger besonders interessant ist der erhebliche Einfluss, den der Brenzsche Katechismus seit frühester Zeit auf badische Formulierungen genommen hat (§ 4 S. 45 und § 6). Die sog. Taufidentität nach Brenz steht am Anfang der meisten badischen Katechismen. Dafür hat sich die klassisch gewordene Eingangsfrage des reformierten Heidelberger Katechismus „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ als Schluss des badischen Katechismus etabliert und bildet damit eine schöne lutherisch-reformierte Klammer.
Auffällig geräuschlos gelang die Integration eines unierten Abendmahlsverständnisses unter Rückgriff auf die badische Unionsurkunde von 1821.In Frage 4 wurde hier offenbar ein tragfähiger Konsens gefunden: „Was empfangen wir in dem heiligen Abendmahle? Antwort Mit Brot und Wein empfangen wir den Leib und das Blut Christi zur Vereinigung mit ihm unserm Herrn und Heiland nach 1. Kor. 10,V. 16. ‚Das Brot, das wir brechen, ist die Gemeinschaft usw.‘“
Besonders spannend liest sich der Katechismusstreit, der die badische Erweckungsbewegung um Henhöfer gegen den sich ausbreitenden Rationalismus und Liberalismus für orthodoxere Formulierungen u.a. bei der Christologie kämpfen ließ. War die Überarbeitung von Katechismusformulierungen sonst eher eine trockene Gelehrtenangelegenheit, so wurde die Katechismusfrage durch Eingaben von Gemeinden und regionalen Synoden zeitweise regelrecht demokratisiert (S. 282) – tempi passati.
Theologisch spannend ist die Beobachtung des Prozesses, wie sich eine gestufte Offenbarungslehre in den Katechismus schleichen konnte. Ausgehend von der traditionellen Unterscheidung einer Offenbarung durch das Buch der Natur und das Buch der Schrift kam man zu Aussagen wie der im Katechismus von 1882 (S. 371): „Wir lernen Gott kennen durch seine Offenbarung in der Natur, in der Geschichte der Menschen und in unserm Innern; ganz besonders aber in der heiligen Schrift.“ Dem geht der Verf. in einem schönen Exkurs nach. Solche Aussagen wurden von der dialektischen Wort-Gottes-Theologie natürlich scharf kritisiert. Auch die Impulse der Barmer theologischen Erklärung wirkten stark in die Nachkriegszeit hinein. Dennoch gelang es nicht, den in dieser Hinsicht mangelhaften Katechismus von 1928 durch einen neuen zu ersetzen.
Viele Details lassen sich auf dem Weg wahrnehmen wie der häufige Wunsch, den Katechismus durch ein sorgfältig zusammengestelltes biblisches Spruchbuch zu ersetzen und das Aufkommen von biblischen Geschichtensammlungen, die einen kindgemäßeren Zugang zu Glauben und Bibel versprachen als es mit Hilfe des Katechismus möglich war.
Gut wird in der ganzen Darstellung deutlich, wie sich die Kirche theologisch und organisatorisch im Lauf der Jahrhunderte von der Bevormundung durch den Staat lösen konnte. Führte zu Beginn kein Weg am Großherzog vorbei, musste die Kirche im 20. Jahrhundert ihren Weg ohne Gängelung durch den Staat, aber auch ohne Impulse von diesem gehen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es seit 1928/29 trotz zweier Preisausschreiben nicht gelang, zu einem neuen, offiziell anerkannten Katechismus zu kommen.
Sehr bedenkenswert sind die Überlegungen des Verfassers zum „Katechismus heute“. Sein Herz schlägt klar für ein Verständnis des Katechismus als religiöse Sprachschule (der Freiheit). Bedauernswert ist die Menge z. T. sinnentstellender Rechtschreibfehler.
Wie geht es mit der Katechismenproduktion und dem meisterhaft bis in alle Einzelheiten dargestellten Jahrhunderte währenden Katechismusstreit weiter? Ist er – was zu bedauern wäre – zum Stillstand gekommen? Der im Jubiläumsjahr des Heidelberg Katechismus 2013 ausgeschriebene Wettbewerb der badischen Landeskirche „Katechismus heute“ brachte immerhin zwei Preisträger hervor, Wilfried Härle und Traugott Schächtele, aber er war im Vergleich zu früheren Versuchen deutlich weniger ambitioniert, ging es doch nur um eine Aktualisierung des Heidelberger Katechismus und nicht des gültigen Unionskatechismus‘. Außerdem war offensichtlich nicht daran gedacht, einen dieser Katechismen wie bisher versucht als Vorlage für einen neuen Landeskatechismus zu verwenden.
Gar nicht zu reden ist von der württembergischen Landeskirche, in der ich keinen ernst gemeinten Versuch kenne, den offiziellen Katechismus von 1696 durch einen neuen, zeitgemäßeren zu ersetzen. Immerhin habe ich zusammen mit Martin Hinderer und Bernd Wildermuth versucht, im Rahmen des Konfirmanden-Begleitbuchs „anknüpfen – Meine Konfirmation“ die als verstaubt in Verruf geratene Katechismustradition wieder aufzugreifen und moderne Formulierungen zu finden. Aber das ist von einem offiziellen Landeskatechismus, in den man wie zu früheren Zeiten langsam hineinwachsen und sich lebenslang darin zurechtfinden kann, doch weit entfernt.
Mut macht allerdings das sehr empfehlenswerte in der liberalen Tradition stehende Buch von Gerd Theißen, „Glaubenssätze: Ein kritischer Katechismus“. Dass uns ausgerechnet die doch oft als vorgestrig und dogmatisch gescholtene Katholische Kirche mit „Youcat“, dem 2011 erschienenen Jugendkatechismus, der auf dem 1992 erschienen Katechismus der Katholischen Kirche basiert, etwas voraushat, sollte uns zu denken geben.

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