Wie kann man die Online-Gemeinde so in einen hybriden Gottesdienst einbeziehen, dass es sich anfühlt als sei es eine Gemeinde? Ist es möglich, auch in der Phase des zweiten Lockdowns digital interaktiv Gottesdienstbesucher einzubeziehen, die zu Hause vor einem Bildschirm sitzen, egal wie groß der ist? “Können wir mal wieder Zuschauer aus dem Livestream zeigen, wir wir das schon einmal gemacht haben?”, wurde ich gefragt. Das waren die Ausgangsfragen für das Experiment, das am Sonntag stattgefunden hat. Mich hat außerdem die Frage bewegt: Kann es gelingen, eine hybride Gemeinde nicht nur nebeneinanderher laufen zu lassen, sondern sie so zu fusionieren, dass beide von der jeweils anderen Teil-Gemeinde etwas mitbekommen?
Ich berichte hier, weil das ein Wunsch auf Twitter war, außerdem hoffe ich dadurch noch mehr gute Ideen zu bekommen, wie andere das machen und wie man es optimieren könnte.
Das Video auf Youtube
kann man hier nachschauen:
Und hier die Live-Statistik:
Zum Hintergrund unserer Gemeinde
Unsere Gemeinde hat ein extrem engagiertes junges Technik-Team. Seit der ersten Corona-Lockdown streamen wir live. Im Sommer wurde ordentlich Zeit und Geld investiert, damit man nicht jedes Mal manuell Kabel ziehen muss und wir auf eine private Kamera angewiesen sind. Technisch nutzen wir eine über LAN fernsteuerbare ptz-Kamera und einen schnellen, neu angeschafften Laptop, auf dem OBS Studio läuft. Für die Kamerapositionen gibt es fertige Presets, man kann aber auch noch von Hand steuern wohin man will und was die Kamera hergibt. Außerdem nutzen wir Songbeamer und leisten uns eine CCLI-Streaming-Lizenz, damit wir die eingeblendeten Texte dauerhaft auf YouTube stehen lassen können. Wir haben grundsätzlich einen guten Gottesdienstbesuch und eine aktive Jugendarbeit. Bisher konnten wir für jeden Sonntag – sogar in den Sommerferien – jemand gewinnen, der die Lieder von vorn ins Mikro singt. Jeden Sonntag sind etwa 30-40 Personen live im Stream dabei, ein Gottesdienstvideo hat noch ein paar Tagen üblicherweise 120-150 Aufrufe, wobei man in den Statistiken sehen kann, dass längst nicht alle den ganzen Gottesdienst schauen.
Ein Beamer ist fest installiert, eine Leinwand kann man vorn leicht zur Seite klappen. Üblicherweise wird das, was vorn auf der Leinwand zu sehen ist auch in den Stream übernommen, zum Beispiel Liedtexte.
So bin ich vorgegangen
Was wir schon öfter mit Erfolg versucht hatten: Eine live entstehende Wortwolke für die Fürbitten mit Hilfe von answergarden. Dort gibt es eine schöne Präsentationsansicht (wenn man angemeldet ist bei den Feldern rechts unten auf “Expand” klicken), die auch im Kirchenraum zu sehen war. Ein Problem ist immer, dass der Livestream aus technischen Gründen eine Verzögerung von 40-50 Sekunden hat. Man muss also viel Zeit lassen, bis die Leute draußen reagieren können auf das, was im Gottesdienst gesagt wird. Einige Fürbitten tauchten erst auf meinem Tablet bzw. Laptop auf, als ich schon mitten im Gebet war.
Zusätzlich habe ich diesmal zum ersten Mal ein Gottesdienst-Padlet angelegt. Ein Padlet ist eine Art interaktive digitale Pinnwand, auf der man Texte, Bilder, Links u.a. anbringen und dann frei verschieben kann. Es gibt verschiedene Layouts, ich habe mich für die Spaltenansicht entschieden. Der Link war in der Videobeschreibung von YouTube zu finden, auf unserer Homepage und ich habe einen Kurzlink angelegt, den man auch gesprochen weitergeben kann (https://kurzelinks.de/godikemnat). Der Mitarbeiter, der auch den Livestream verantwortet hat, bekam von mir vollen Zugriff auf das Padlet erteilt, falls merkwürdige beleidigende Beiträge kommen würden.
Spread the Word
Natürlich ist es wichtig, die Idee im Vorfeld zu verbreiten. Ich habe versucht, alle Kanäle, die die Gemeinde hat und die ich persönlich habe, zu nutzen: Homepage, Newsletter (wird automatisch aus Meldungen generiert), WhatsApp-Broadcast der Jugendarbeit, Instagram, Twitter und Mastodon. Ein paar Reaktionen und Retweets gab es auf Twitter, aber viral wurde das Ganze nicht. Vermutlich gibt es inzwischen einfach so viele Gottesdienst-Livestreams, dass das nichts Besonderes mehr ist.
Wer macht mit bei einem #Gottesdienst Experiment? Diesen Sonntag soll es über ein #padlet interaktiv werden, das man schon jetzt mit Ideen und Fragen befüllen kann. Bitte helft mir mit Retweets, wenn möglich https://t.co/dKlcj1oetq #digitalekirche #relichat #followerpower
— Thomas Ebinger (@Thomas_Ebinger) November 6, 2020
Erfahrungen
Der Gottesdienst war in der Kirche erfreulich gut besucht. Der technische Ablauf hat problemlos geklappt. Unsere Mitarbeiter hatten Lust darauf und mussten nicht lange überredet werden. Gleich bei der Begrüßung wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, dass und wie man sich einbringen kann. Nach einer mittellangen Predigt kam ein Instrumentalstück und ich war gespannt, ob Beiträge und Fragen gekommen waren. Zum Glück war wenigstens eine konkrete Frage und ein inhaltlicher Beitrag da, den ich aufgreifen konnte. Schon im Vorfeld war eine längere Frage gekommen, die ich für die Predigtvorbereitung nutzen konnte. Außerdem gab es vorab zwei Fotos und eines kam während des Gottesdienstes dazu. Da hätte ich ehrlich gesagt mehr erwartet.
Von den Online-Zuschauern gab es bisher kein direktes Feedback, man weiß ja nicht genau, wer zuschaut. Vielleicht meldet sich aufgrund dieses Blogbeitrags ja noch jemand bei mir. Im Anschluss hat mich ein Kirchengemeinderat ermutigt, das noch öfter zu versuchen, auch wenn die Resonanz beim ersten Mal nicht so riesig war wie erhofft.
Der Aufwand hält sich eigentlich in Grenzen, für den Aufbau des Padlets braucht man einmalig Zeit, aber dann hat man die Struktur. Ich würde auf jeden Fall auch immer das gleiche Padlet nehmen, damit Leute den Link speichern und schnell wieder aufrufen können.
Der Predigttext war auch so eine Herausforderung: Die Wiederkunft Christi und der Umgang mit der Naherwartung. Ich hoffe, ich bin dem Text gerecht geworden und habe auf jeden Fall persönlicher geredet als sonst, weil es dazu eine Frage gab. Mir selbst hat es auf jeden Fall Spaß gemacht und die positive Aufregung gesteigert, wenn nicht alles fertig vorbereitet im Ringbuch steht, sondern ich spontan reagieren muss.
Optimierungsbedarf und weitere Ideen
Ich bin mir nicht sicher, ob ich es genauso noch einmal machen würde. U. U. braucht es einfach Zeit, bis sich Online-Zuschauer darauf einlassen und merken, dass sie von außen ganz konkret den Gottesdienst mitgestalten können. Folgende Ideen könnten helfen, das Ganze noch besser hinzubekommen.
- Vorher Personen und Gruppen anfragen, die sich vermutlich aktiv beteiligen würden und mit digitalen Tools vertraut sind: Diese Strategie ist sicher hilfreich, wenn man öfter interaktive Gottesdienste feiern will. Es ist wie bei physischen Gruppen auch: Wenn keiner etwas sagt, kommt sich jeder komisch vor, der etwas sagen will. Wenn viele mitmachen, kommt man kaum zu Wort.
- Es wäre hilfreich, einen Moderator zu haben, der die Postings verfolgt, ggf. kommentiert und dann auch von vorn einbringen kann. Die Fürbitten könnten auch zwei angefragte Personen im Wechsel vortragen.
- Ergänzende analoge Möglichkeiten sich einzubringen: Ich habe überlegt, ob nicht die Besucher in der Kirche auch ohne Gerät etwas beitragen könnten, indem Fragenzettel ausgelegt sind.
- Datenlöschung: Jeder, der etwas beiträgt, gibt Daten von sich Preis. Bei Bildern will man vermutlich wissen, wann die wieder gelöscht werden. Das war bisher nicht so klar und sollte vielleicht deutlich auf dem Padlet stehen.
- Manche Gemeinden berichten von guten Erfahrungen mit moderierten WhatsApp-Gruppen o.ä. parallel zum Gottesdienst. Das wäre evtl. ergänzend oder alternativ eine gute Sache, ist aber leider nicht EKD-Datenschutz-konform.
Noch müssen wir irgendwie durch die Pandemie hindurchkommen und eine Online-Gemeinde, die per Livestream mitfeiert, ist auf jeden Fall ein wertvoller Beitrag zur Kontaktreduzierung. Ganz sicher bin ich mir aber nicht, ob der Gottesdienst der Zukunft tatsächlich konzeptionell hybrid sein soll. Vermutlich ist es auf Dauer immer noch schöner, wenn die Kirche voll ist und ein paar Leute, die nicht mehr aus dem Haus kommen, digital dabei sind als wenn irgendwann des Verhältnis von physischen zu digitalen Besuchern dauerhaft kippt. Je mehr man für die digitale Gemeinde tut, desto eher fühlen sich vermutlich irgendwann die anderen Gottesdienstbesucher vernachlässigt. Zwar kann auch jeder im Gottesdienstraum sein Handy zücken und mitmachen, aber vermutlich hat man es zu Hause doch leichter, wenn man mehrer Bildschirme und eine Tastatur zur Verfügung hat.
Diskussion und Verbesserungsmöglichkeiten
Ich freue mich sehr, wenn andere ihre Anfragen, Ideen und Erfahrungen einbringen, damit viele Gemeinden davon profitieren können. Gerne unten in den Kommentaren oder auch per Email, Telefonanruf oder mündlich im Gespräch.
Lieber Herr Ebinger, danke für Ihr Experiment. Ich finde es spannend. Es ist m.E. echt eine gute Möglichkeit, Gemeindeglieder aktiv zu beteiligen. Gerade diejenigen die sich mit den Tools auskennen. Wahrscheinlich muss man es mehrmals anbieten bis viele mitmachen. Herzliche Grüße Franziska Stocker-Schwarz
Ja, vermutlich muss sich das erst etablieren. Oder es ist halt doch so, dass man beim Gottesdienst eher zuhören will …