Gestern gab es den ersten Livestream-Gottesdienst aus Kemnat. Wie überall waren auch hier Versammlungen und Gottesdienste verboten, um weitere Ansteckungen durch das Corona-Virus auszuschließen. Technisch realisiert wurde der Stream durch eine Kabelanbindung an das 100-Mbit-Netzwerk im Pfarrhaus, die freie Software OBS Studio (https://obsproject.com/) und die Liedpräsentations-Software Songbeamer (https://www.songbeamer.com), die auch sonst bei uns zum Einsatz kommt. Gestreamt wurde über Youtube. Achtung: Die Freischaltung eines Livestreams für einen Kanal muss man 24 Stunden vorher beantragen. Livestreams vom Handy aus sind erst möglich, wenn ein Kanal über 1000 Abonnenten hat. Parallel gab es eine Videokonferenz über Zoom (https://zoom.us), die von unserem Diakon eingerichtet und betreut wurde. Vor allem nach dem Gottesdienst gab es dort noch Gespräche. Der Livestream hatte maximal 108 Zuschauer; damit hatte der Gottesdienst mehr Teilnehmer als sonst, obwohl der Gottesdienstbesuch in Kemnat üblicherweise auch sehr gut ist. Wir machen weiter, am besten den Kanal der ev. Kirchengemeinde Kemnat abonnieren, dann verpasst man nichts: https://www.youtube.com/channel/UCRzvwWMmemput_LEk1BDn4Q
Sketchnotes zur Predigt
Ein besonderes Geschenk sind die Sketchnotes zur Predigt, die Ute Berger angefertigt und mir zur Verfügung gestellt hat, ohne dass ich davon wusste. Für den 24. Juni ist eine Fortbildung mit ihr in Kemnat geplant, die hoffentlich stattfinden kann. Ihr kann man auf Instagram folgen: https://www.instagram.com/usb807/
Predigt über Jesaja 66,10-14
Liebe Gemeinde,
schön dass ihr dabei seid vor den Bildschirmen, schön dass Sie zuhören, auch wenn ich davon hier nichts mitbekomme, schön, dass viele diese Zeilen lesen wollen. Es sind verrückte Zeiten, noch letzte Woche haben wir hier einen Taufgottesdienst gefeiert, der schon stark von der Pandemie geprägt war, heute sind seit gestern in Baden-Württemberg „alle Zusammenkünfte und Ansammlungen auf öffentlichen Plätzen […] verboten. Gruppenbildungen von mehr als drei Personen darf es nicht mehr geben.“
In Zeitlupe läuft eine weltweite Katastrophe ab. Und wir in einem städtischen Ballungsraum sind besonders gefährdet. Der Landkreis Esslingen ist in den Statistiken vorne mit dabei. Die Sorgen sind groß: Wie schlimm wird es tatsächlich? Wie viele ältere Menschen wird es treffen? Wen von denen, die ohnehin gesundheitlich zu kämpfen haben? Wann können wir endlich wieder zum normalen Leben zurückkehren? Welchen Schaden werden die vielen kleinen und großen Betriebe nehmen?
Wir merken, wie sehr wir uns an sichere Verhältnisse gewöhnt haben, die doch nicht selbstverständlich sind.
Aus einer völlig anderen Situation kommt da ein Text zu uns, der heute Predigttext ist, und hat doch viele Parallelen. Das Volk Israel hat viele Katastrophen erlebt. Die schlimmste davon war wohl die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar im Jahr 587 v. Chr. Der Tempel und alle größeren Gebäude wurde in Brand gesetzt. Die komplette Führungsschicht deportiert. In Babylonien drohte der Glaube an den einen Gott Israels unterzugehen.
Doch wie durch ein Wunder erlaubte der Perserkönig Kyros die Rückkehr des Volkes, der Tempel konnte wieder aufgebaut werden, sogar eine Stadtmauer unter Nehemia.
Es gab eine neue Chance für Israel und seine Hauptstadt Jerusalem nach der großen Katastrophe. Die Frage war nur: Wie würde das Volk sie nutzen?
In diese Situation hinein spricht Gott durch den Mund von Propheten in der Tradition des Jesaja, was wir in Kap. 66 des Jesajabuchs lesen können:
Jes. 66,10 Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. 11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust.
12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. 13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. 14 Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.
1. Freut euch mit Jerusalem!
Noch drei Wochen sind es bis Ostern, wir stecken mitten in der Fastenzeit. Und da hören wir: Freut euch mit Jerusalem! Seid fröhlich über diese Stadt! „Moment“, werden manche denken, was geht mich Jerusalem an. Wenn, dann interessieren mich im nur die Entscheidungen aus Berlin. Wenn, dann will ich nur wissen, ob die U-Bahn nach Stuttgart noch fährt.
Aber Jerusalem ist nicht irgendeine Stadt. Jerusalem ist die Stadt, aus der „der Reichtum der Völker“ kommt. Die Stadt, zu der Jesus pilgert, um dort Frieden und Versöhnung für die ganze Welt möglich zu machen. Jerusalem ist die Stadt, wo Jesus für uns gestorben und auferstanden ist.
So wie wir es in der Schriftlesung aus Joh. 12 gehört haben:
Joh. 12,24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s bewahren zum ewigen Leben.
Was für eine Botschaft: Aus dem Leiden entsteht etwas Gutes. Die geplagte und zerstörte Stadt Jerusalem wird zur Quelle von Heil und Frieden. Durch Jesus kommt das Heil zu den Völkern, so dass auch wir, jedes Mal, wenn wir auf das Kreuz blicken, nach Jerusalem schauen, wo Jesus gestorben und auferstanden ist.
Und allen Menschen, die ihr Leben im Einsatz für andere riskieren, gilt diese Ermutigung, dass das nicht umsonst ist. Dass es Bedeutung hat für die Ewigkeit.
Freut euch mit Jerusalem und nehmt diese Stadt als Beispiel, dass Gott durch Krisen hindurchhelfen kann.
2. Getröstet durch den mütterlichen Gott
Die Prophetenworte leben von einem starken Bild: dem Säugling. Was gibt es Schlimmeres als das verzweifelt Schreien eines hungrigen Babys. Als gäbe es kein Morgen. Als hätte es nicht schon tausendmal Nahrung bekommen. Und dann beugt sich die Mutter über ihn, lächelt es an, und gibt ihrem Kind aus ihrer Mutterbrust zu trinken. Hektisch saugt das Baby, besorgt sich, was es zum Leben braucht. Und dann, mit einem seligen Lächeln, lässt es die Brust wieder los. Es ist still und alle Sorgen los. Es gibt wohl keinen Moment im Leben, wo man jemals wieder so glücklich und zufrieden ist wie damals, als man bei seiner Mutter trinken durfte, damals, als ein Fläschchen aus der Hand der Eltern den Hunger gestillt hat.
Genau dieses Bild überträgt der Prophet auf Gott (V. 13): Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. So sagt es Gott, der Herr, in eine Situation hinein, in der noch nicht aller Hunger gestillt ist. So verspricht es Gott auch uns und manche werden sich daran erinnern: Ja, das war die Jahreslosung im Jahr 2016.
Trösten können und Trost zulassen ist ein Geheimnis. Es hat viel mit unseren Erfahrungen als Kind zu tun. Wenn ich mich angestoßen habe oder sogar blutig verletzt: Dann kommt die Mutter und bringt ein Pflaster. Sie pustet und sagt: „Heile heile Segen“. Sie verabreicht eine Pille oder gar bittere Arznei und alles ist wieder gut.
Das Spannende ist: Es ist gar nicht das Pflaster oder die Pille, die den Schmerz wegmachen. Es ist die Zuwendung, die wir bekommen. Dass jemand mir beisteht in meinem Schmerz. Nichts ist schlimmer, als wenn man mit Schmerzen allein bleibt.
Gott verspricht uns: Ich bin dieser Tröster für dich. Ich bin wie eine Mutter, die dich auf den Arm nimmt und trägt, die dich streichelt und dir Mut zuspricht. Die auf ihren Knien mit dir spielt, bis alles wieder gut ist.
Das Wort für Trost, das hier verwendet wird, meint mehr als bloßes billiges Trösten und Vertrösten. Es meint eine echte Veränderung der Situation. Es hat viel mit dem Aufatmen zu tun, nachdem man lange Zeit kaum Luft bekommen hat. Gott kann und wird eingreifen.
Aber leider wollen sich gar nicht alle trösten lassen. Der Gegenbegriff zu „Trost“ ist der Trotz. Wenn man trotz gutem Zureden immer weiter zetert und heult. Wenn man sich nicht helfen lassen will. Dann sind wir trotzig und nicht ganz bei Trost, sperren uns ein in die Echokammern unserer Gedankenkarrussels. Bekommen Panikattacken. Wollen nicht auf unsere Mitmenschen hören, die uns Mut machen wollen. Wollen uns nichts sagen lassen von Gott, der nur trösten will und Gedanken des Friedens über uns hat.
Wir spüren in diesen Zeiten übrigens besonders, wie wichtig Nähe ist, ohne die man nicht trösten kann. Dieses Mindestabstandsgebot von zwei Metern, dieses Sich-Fernhalten von lieben Menschen fällt uns extrem schwer, auch wenn es nötig ist. Immer denkt man innerlich: Was hat der andere nur gegen mich, warum hält er so viel Abstand.
Gott verspricht uns seine besondere Nähe. Bei ihm finden wir Geborgenheit und tiefen inneren Frieden, wenn wir uns von ihm auf den Schoß nehmen lassen. Eigentlich müsste man sagen „von ihr“: Denn nirgends in der Bibel ist von Gott mit so deutlich weiblichen, mütterlichen Zügen die Rede wie hier. Und das tut gut.
3. Da wächst noch Gras nach der Katastrophe
Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen, eine merkwürdige Formulierung: Euer Gebein soll grünen wie Gras verspricht Gott (V. 14). „Ihr werdet‘s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras.“ Da ist sie wieder, die Freude am Sonntag Lätare.
Wer schon einmal zur richtigen Jahreszeit in Israel war, kennt das: Die meiste Zeit ist es dort karg und heiß, aber im Frühling überziehen sich dort die Berge und Landschaften mit einem wunderbaren Grün und alles beginnt zu blühen.
Gebein, das meint im Hebräischen die Knochen, den nackten Körper, auch den Leichnam. Gebein, das grünt. Das erinnert an die große Vision aus Hesekiel 37, wo das Volk aus einem Totenfeld wieder aufersteht.
Ein merkwürdiges Symbol der Krise ist in Deutschland das Klopapier geworden. Man hamstert, was man zum Überleben braucht, und dazu gehört – ich wusste das bisher nicht und habe zu spät angefangen, Klopapier zu horten – das Klopapier.
Wenn man Einkaufen geht – allen die nicht so fit sind, kann man nur raten das nicht zu tun – merkt man, dass es ums Überleben geht: Leere Regale bei Grundnahrungsmitteln, wie man sich das bisher nicht vorstellen konnte. Ich habe keine Angst, dass das Essen nicht reicht. Aber man spürt bei diesen leeren Regalen, wie tief die Angst sitzt.
Gott verspricht: Das nackte Gebein wird grünen. Da wächst noch Gras nach der Katastrophe. Nach einer Zeit der Dürre und Trockenheit kommt Frühregen und Segen.
Es tut gut, das zu hören und sich sagen zu lassen. Auch für unsere Situation. Hoffen und beten wir, dass Gott gnädig ist. Hoffen und beten wir, dass Menschen solidarisch und hilfsbereit sind. Dass Menschen und Familien sich in diesen Tagen und Wochen näher kommen und sich nicht im Dauerstreit verhaken. Hoffen und beten wir, dass die Online-Formen der Kommunikation tragfähig sind und nicht zu immer neuen Shitstorms führen. Hoffen und beten wir, dass Gott uns näher kommt in dieser Zeit, dass er uns tröstet, wie das nur eine Mutter kann.
Hoffen und beten wir. Zeit haben die meisten von uns wohl genug. Die anderen schließen wir in unser Gebet ein. Amen.
Video (leider nur 72 Stunden verfügbar wegen neuer Lieder und Gema-Restriktionen)
Audio
Diese Predigt kann man wie alle Predigten aus unserer Bartholomäuskirche nachhören und auf dieser Seite herunterladen: https://www.kemnat-evangelisch.de/15-02-2019-downloads/23-04-2019-predigten/
Rückmeldungen
habe ich schon viele sehr schöne bekommen. Wir werden auf jeden Fall mit dem Streaming weitermachen. Freue mich immer, auch hier etwas zu lesen an Kommentaren und Ideen.