Heidelberg war als Studienort meine erste Liebe – die wunderschöne Romantikerstadt am Neckar. Den Namen Heidelbergs in die Welt hinausgetragen haben aber ursprünglich weniger die schönen Postkarten-Ansichten des verfallenen Schlosses, sondern der sog. Heidelberger Katechismus, der ursprünglich Katechismus der kurfürstlichen Pfalz hieß, aber bald den Namen seines Entstehungs- und Druck-Ortes erhielt (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Heidelberger_Katechismus).
Anknüpfend an die alte Tradition der Katechismuspredigten – immerhin wurde der der Heidelberger Katechismus schon bald in 52 Abschnitte für die 52 Sonntage eines Jahres eingeteilt – fand im Sommersemester 2012, ein Jahr vor seinem 450jährigen Jubiläum, eine Predigtreihe im Universitätsgottesdienst in der Peterskirche statt. Viele namhafte Professoren der Fakultät haben sich beteiligt, dazu auch kirchenleitende Prominenz wie der aktuelle badische Landesbischof und sein Vorgänger sowie der Kirchenpräsident der Pfalz. Herausgegeben wurde das schöne Büchlein mit dem anspielungsreichen Untertitel “Heidelberger Beiträge zum Heidelberger Katechismus” von Helmut Schwier und Hans-Georg Ulrichs.
Was ist das Besondere am Heidelberger Katechismus? Der knapp und präzise einführende Text von Christoph Strohm macht darauf aufmerksam. Zunächst war er ein Gemeinschaftswerk. Während Luther mit seiner Sprachkraft und Schreiberfahrung Katechismen aus einem Guss mit einheitlicher Theologie geschaffen hat, ist der Heidelberger Katechismus eine Gemeinschaftsarbeit auf der Suche nach einem Kompromiss zwischen melanchthonisch-lutherischen Einstellungen und der reformierten Perspektive. Letztere kam vor allem durch Glaubensflüchtlinge in die Kurpfalz, die wegen ihres Glaubens England, die spanischen Niederlanden oder Frankreich verlassen hatten. Ein Katechismus mit Flüchtlingsperspektive also, weniger obrigkeitshörig als das Luthertum, das bis heute gern auf mächtige Autoritäten von oben hört und die Notbischöfe der Reformationszeit schnell durch Landesbischöfe ersetzt hat, als sie in der Republik abhanden kamen. Das ist eine Stimme, die als alternative und innerprotestantisch kritische auch 2017 – im großen Luther- und Reformationsjubeljahr – nicht verstummen sollte.
Zwei ergänzende Artikel, einer aus religionspädagogischer Sicht und einer aus Sicht der Druckgeschichte, runden das Buch ab und machen es zu einem kleinen, gut lesbaren Kompendium.
Der Schwerpunkt liegt allerdings auf den Predigten, die einen Großteil der 129 Fragen in die Gegenwart hinein auslegen. Dass heutige Theologieprofessor(inn)en staubtrockene Gelehrte wären, die auf der Kanzel nichts zu sagen hätten, wird mit allen Predigten eindrücklich widerlegt. Sie drücken sich nicht darum, auch heikle Aussagen des Katechismus aufzugreifen, sie aus ihrem zeitgeschichtlichen Kontext heraus zu erklären und ihnen heutige Sichtweisen entgegenzustellen. Das entspricht durchaus dem Grundgedanken des Katechismus, der Werkzeug für einen lebendigen Unterricht sein wollte, Anregung zum eigenen Theologisieren und nicht auswendigzulernende Bekenntnisschrift. (Vgl. dazu meinen Artikel “Der Katechismus in der Konfi-Arbeit. Folterwerkzeug oder hermeneutischer Schlüssel?” in: KU Praxis 61 (2016), S. 61f, siehe http://www.fachzeitschriften-religion.de/ku-praxis/2016/61 )
Besonders gefallen haben mir drei Predigten: Peter Lampe gelingt es, das Elend des Menschen, das er laut Katechismus aus dem Gesetz erkennt, mit modernen verhaltensbiologischen und hormonellen Erkenntnissen zu verbinden und so plausibel zu machen, wie die radikale Verlorenheit des Menschen heute erklärt werden kann – und wo die Grenzen der theologisch geprägten Rede über die Bosheit des Menschen ohne Gott ist. Denn die Antwort auf Frage 8 “Sind wir aber so böse und verkehrt, dass wir ganz und gar unfähig sind zu irgendeinem Guten und geneigt zu allem Bösen?” wird heute angesichts der auch gegenüber Atheisten und Konfessionslosen notwendigen interreligiösen Sensibilität nicht mehr so einfach lauten können: “Ja, es sei denn dass wir durch den Geist Gottes wiedergeboren werden.” Neue Zeiten erfordern hier vielleicht nicht unbedingt sachlich andere, aber doch sensiblere und ausführlichere Antworten als die alten.
Eine wunderbar anschauliche Predigt zum Heiligen Geist, der im Menschen Wohnung sucht, ist Gerd Theißen gelungen. In diesem Beitrag kommt auch am deutlichsten ein reformiertes Profil in Abgrenzung vom lutherischen zum Ausdruck. Man merkt, dass Gerd Theißen sich schon viel mit dem Katechismus und seiner zeitgemäßen Gestalt beschäftigt hat. Nicht genug zu loben ist sein eigener, auch dichterischer, Versuch, zum Jubiläumsjahr einen neuen Heidelberger “kritischen Katechismus” zu schreiben (Glaubenssätze, Gütersloh 2012).
Schließlich die Predigt zur Taufe: Jochen Cornelius-Bundschuh veranschaulicht an der Taufe einer Konfirmandin und dem unter Jugendlichen üblichen Sprachgebrauch vom “Opfer”, wie Taufe mir persönlich zugute kommt. Gleichzeitig gibt er ein schönes Beispiel für gelungene – vermutlich eigene – Konfi-Unterrichtspraxis zum Thema Taufe, wo nachinszeniert wird, wer alles an einem zieht und etwas von einem haben will.
Ob der Titel des Buchs – eine Anspielung auf die ursprüngliche Formulierung der 2. Frage “Wie viele Stücke sind dir nötig zu wissen, dass du in diesem Trost seliglich leben und sterben mögest?” allerdings so glücklich gewählt ist, bezweifle ich. Denn er suggeriert, dass es eben doch wie beim Katechismus leicht assoziiert um das notwendige Fakten-Wissen geht (“Müssen wir das für die Arbeit wissen?”), statt um Gewissheit des Glaubens, das Getrost-Sein in Gott und die Dankbarkeit für das durch ihn überwundene Menschen-Elend.
Einsatzmöglichkeiten des Buchs
Wie ist dieses Buch zu gebrauchen? Zunächst einmal als Erbauungsbuch, denn die Predigten sind wirklich gut lesbar, wenn man nicht alle am Stück zu lesen versucht. Dann als Inspirationsbuch für eigene Katechismuspredigten im Reformationsjubiläumsjahr. Auch für Andachten lässt sich die ein oder andere Predigt gut, zumindest in Ausschnitten, verwenden. Der Preis (26 Euro) ist für ein Taschenbuch stolz, aber die Qualität stimmt, sowohl inhaltlich als auch verlagstechnisch. Ein schönes Geschenk also für alle, die tiefer einsteigen wollen in die wunderbar tröstliche und dankbar stimmende Welt des Heidelberger Katechismus.
Wie es nach dem Heidelberger Katechismus weiterging …
In Baden ist bis heute die Katechismusbildung dank Union nicht zum Stillstand gekommen wie in fast allen lutherischen Landeskirchen (vgl. dazu http://www.glauben2017.de/katechismus-heute/ mit zwei neuen Katechismen von Traugott Schächtele und Prof. Wilfried Härle). Einen detaillierten Einblick gewährt das von mir ebenfalls besprochene Werk von Johannes Ehmann über die badischen Unionskatechismen.
Videos
- Einführendes Video, geeignet ab dem Grundschulalter
- Impulsvideos, in denen ältere Jugendliche sich zu Aussagen des Katechimus verhalten: http://www.hd-kat.de/#!video/
Internetlinks
- http://heidelberger-katechismus.de/ Seite der badischen Landeskirche, erarbeitet vom RPI Baden
- http://heidelberger-katechismus.de/#!mehr/level3?articleid=67 Heidelberger Katechismus in heutigem Deutsch als PDF mit anklickbaren Links zu den Bibelstellen, erarbeitet von Michael Beisel
- http://www.heidelberger-katechismus.net/11515-0-227-50.html Festvortrag von Prof. Gerd Theißen auf der Hauptversammlung des Reformierten Bundes am 7. Juni 2013 in Heidelberg zum Thema: Der Heidelberger Katechismus – Erinnerungen und Erkenntnisse
Hinweis: Die Rezension wurde verfasst für die Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 2017.