Ein Gottesdienst zum Gleichnis vom Vater und seinen beiden Söhnen in der schönen Franziskakirche Birkach gehalten (3. Sonntag nach Trinitatis, 2.7.2017). Passt übrigens auch gut zur Jahreslosung 2021.
Predigt
Liebe Gemeinde,
etwas verloren zu haben ist eine Urerfahrung des Menschen. Es nervt einfach ungemein. Am Freitag wollten wir spontan ins Freibad gehen – da war meine Badehose weg. Nicht aufzufinden. Für mich fiel das Freibad ins Wasser.
Mit Verlorenem kann man unterschiedlich umgehen. Man erklärt es zur absoluten Priorität. Bis dieser Schlüssel, dieses Aufgabenblatt, diese Datei, die es garantiert gibt, gefunden ist, kann ich nichts anderes tun und denken. Alles wird auf den Kopf gestellt. So ist es in den beiden ersten Gleichnissen Jesu vom verlorenen Schaf und dem verlorenen Geld.
Ich habe oft eine andere Strategie: Erst einmal abwarten, zwei Tage später taucht der Schlüssel ja doch in einer Manteltasche wieder auf, wo man nie gesucht hätte. Diese Strategie scheint auch der Vater ihm wohl bekanntesten – viele sagen auch schönsten – Gleichnis Jesu zu verfolgen.
Hören wir das Gleichnis vom Vater und seinen beiden Söhnen aus Lukas 15 (Luther 2017):
11 Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. 12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie. 13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. 14 Als er aber alles verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben 15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. 16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm. 17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich einem deiner Tagelöhner gleich! 20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. 22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße 23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. 25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen 26 und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre. 27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. 29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. 32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.
So weit der Predigttext, eine wunderbar anschauliche Parabel. Wunderbar zugespitzt auf die Pharisäer, die sich aufregen, mit wem sich Jesus so alles abgibt. Wunderbar zugespitzt aber auch auf jeden, der sich selbst manchmal verloren fühlt – und für wen gilt das nicht.
Es ist ja auch nicht leicht, nicht der Erstgeborene zu sein, dem immer alles irgendwo reingeschoben wird. Zufällig habe ich zu Hause als Kinder zwei Jungs und alle jüngeren Geschwister können da ihre Geschichten erzählen. Ich selbst habe sogar zwei ältere Brüder und bin quasi doppelt geschädigt … Echte Chancengleichheit gibt es nicht im Leben.
Damals erbte der Erstgeborene zwei Drittel des Vermögens der Eltern in Form des ganzen Hofs, der Jüngere konnte sich sein Drittel auszahlen lassen und sein eigenes Glück versuchen oder als Juniorpartner unter der Fuchtel des älteren Bruders sein Leben fristen. Ich habe volles Verständnis für den jüngeren Sohn.
So muss man es doch machen: sein Leben in die Hand nehmen, sich mit Geld Freunde machen. Jeder von uns steht vor dieser Entscheidung, was er aus dem macht, was er an Startkapital mit ins Leben bekommen hat. Sauertöpfisch seine Pflicht tun oder das Leben leicht nehmen und genießen? Ständig fleißig und brav sein, auf jede Klassenarbeit lernen und sich auch halbkrank zur Arbeit schleppen oder Party machen, auf Vitamin B setzen, volles Risiko fahren, auch wenn das mal vor der Wand endet.
Merkwürdig ist die Nullkommunikation, die zwischen Vater und jüngerem Sohn herrscht. Klar, es gab kein WhatsApp damals, aber der Vater hätte ja mal einen Boten schicken können und sich nach dem Sohn erkundigen. Und auch der Sohn interessiert sich erst für seinen Vater, als er ganz unten angekommen ist. Sehr deutlich schimmert durch das Bild des Vaters Gott hindurch, unser Vater im Himmel, wie wir das jeden Sonntag beten. Auch im Verhältnis zu Gott ist es oft so, dass der Draht abgerissen ist. Früher, ja, da war der Umgang mit ihm noch selbstverständlich. Aber heute steht anderes im Vordergrund. Wer geht schon jeden Sonntag in den Gottesdienst oder hat jeden Tag eine Zeit des Gebets und der Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater?
Gibt es die Möglichkeit, zurückzukehren? Trauen wir uns das?
Heimkehr und Entfremdung
Von Franz Kafka, der sehr mit seinem Vater und seiner Kindheit gerungen hat und ihm im Alter von 36 Jahren einen schonungslos ehrlichen Brief geschrieben hat, den er nie abgeschickt hat, gibt es einen spannenden kurzen Text, der auf unser Gleichnis anspielt. Er ist im Jahr nach dem Brief an den Vater entstanden. Erst nachträglich bekam er die Überschrift „Heimkehr“. Und wie beim Gleichnis Jesu im Verhältnis von Sohn und Vater das Verhältnis jedes Menschen zu Gott hindurchschimmert, so kann man auch diesen Text so lesen und hören, dass hier ein Mensch auf der Suche ist nach Gott, der früher für ihn Heimat und Familie bedeutet hat.
Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind.
Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn. Und ich wage nicht an die Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will.(Text: http://gutenberg.spiegel.de/buch/franz-kafka-kleinere-werke-167/5 )
Dem Sohn ist der Vater und das väterliche Haus fremd geworden. So geht es uns manchmal auch mit Gott. Vielleicht sogar mit diesem Gleichnis vom verlorenen Sohn, einer der wenigen Geschichten der Bibel, von der man wohl zu Recht behaupten darf, die kennt jedes Kind. Aber prägt sie auch unser Gottesbild?
Anders als bei Kafka sieht Gott im Gleichnis Jesu schon von fern, dass sein Sohn heimkehren will. Er ignoriert die Entfremdung, die man ihm deutlich ansehen konnte. Er überwindet sie durch eine heftige Umarmung und ein Willkommensfest, das alle Partys in der Fremde in den Schatten stellt.
So gütig, so überhaupt nicht nachtragend, so Schwamm drüber ist Gott. Jedes seiner Kinder darf jederzeit zu ihm kommen, egal ob es immer bei ihm geblieben ist oder lange Zeit fern war von Gott.
Mit dieser positiven Botschaft könnte ich die Predigt jetzt beenden, aber das wäre nicht fair. Denn es gibt da diesen älteren Sohn, mit dem ich mich auf jeden Fall nicht so gern identifiziere. Aber Jesus wollte, dass seine Zuhörer sich mit ihm identifizieren. Denn er erzählt die drei Gleichnisse, mit denen wir uns in diesem Gottesdienst beschäftigen, den Pharisäern und Schriftgelehrten. Denen, die sich aufregen, dass Jesus Zöllner und Sünder an sich heranlässt (Lk. 15,1-3).
Wer schaut schon gern in diesen Parabel-Spiegel und erkennt dann an sich die Züge des älteren Sohnes. Er ist brav und spießig. Macht in Sachen Religion alles richtig. Respektiert Gott, seinen Vater. Ist bürgerlich und rechtschaffen. Zahlt seine Steuern und macht seine Hausaufgaben. Ist nachts um halb zehn zu Hause und ruft an, wenn er es nicht schafft.
Und er verachtet seinen verlotterten Bruder. Der nicht büßen muss. Der schon wieder völlig unverdient auf der Schokoladenseite des Lebens landet und ihm die Butter vom Brot nehmen will. Wie soll man dessen Rückkehr feiern? Wie soll man aushalten, dass er wieder voll dazugehört?
Der Vater redet dem älteren Sohn und damit auch uns ins Gewissen. „Mein Sohn, meine Tochter, du bist immer bei mir. Hast den Glauben nie verloren und die Extreme und Schattenseiten des Lebens nie kennen gelernt. Was mir gehört, gehört auch dir. Freu dich doch, dass ich so viele Kinder habe, die ich alle genau gleich lieb habe, die ich alle mit offenen Armen empfangen werde, egal wie weit sie sich entfernt haben.
Es ist nicht leicht, sich das anzuhören. Denn irgendwie tut es ja auch gut, sich moralisch überlegen zu fühlen und Gott danken zu können, dass man eben nicht so ist wie die vielen Sünder und halbseidenen Promis, die zwar mehr Spaß zu haben scheinen, aber garantiert bald auf die Nase fallen. Gottes radikale Vergebungsbereitschaft ist nicht leicht zu ertragen, wenn man sich für etwas Besseres hält.
Lassen wir es einfach offen, welcher der beiden wir sind. Vergebung brauchen wir alle, von Gott fern sind wir immer wieder und viel zu oft. Auch das ist ja wahr.
Zum Glück endet die Geschichte Jesu offen. Als wollte er sagen: Ihr schreibt diese Geschichte fort, je nachdem, wie ihr miteinander umgeht. Ihr reuigen Sünder und ihr immer Fromm-Gebliebenen. Das Happy End ist möglich: die eine versöhnte Familie Gottes, in der alle Menschen-Kinder sich zu Hause fühlen, ohne sich etwas zu neiden. Das muss der Himmel sein. Amen.
Ablauf
- Glocken
- Vorspiel
- Votum mit gesungenem einfachem Amen (KGR)
- Eingangslied: 346,1-3 Such, wer da will, ein ander Ziel
- Psalmgebet Ps. 103 (EG 742) (ganzversweise)
- Ehr sei dem Vater
- Gebet und stilles Gebet
- Schriftlesung: Lk. 15,1-10
- Lied: 353,1-4 Jesus nimmt die Sünder an
- Predigt über Lk. 15,(1-3).11b-32
- Lied: 660,1-3 Wie ein Fest nach langer Trauer
- Fürbittengebet
- Vater unser
- Lied: 649,1-5 Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen
- Abkündigungen und evtl. besondere Fürbitte
- Verleih uns Frieden gnädiglich (EG 421)
- Segen mit dreifachem Amen
- Nachspiel
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